Ich muss mich an dieser Stelle kurz outen: Ich bin kein grosser Händeschüttler. Ich sehe den Sinn nicht so ganz. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass das Händeschütteln im Mittelalter erfunden worden ist, weil man mit dem Hinstrecken des schönen Händchens, vulgo Schwerthand, beweist, dass man keine Waffe versteckt. Was für mich als Linkshänder natürlich doppelt sinnlos ist, ausser dass es mir einen gewaltigen darwinistischen Vorteil verschafft: Rechts grüssen, links abstechen.
Im ganzen Shakehandsgate tun mir einzig die Jugendlichen ein bisschen Leid, die wohl mehrfach instrumentalisiert wurden. Von alleine sind die Jungs ja kaum auf die Idee gekommen, ihre Aktion an die Medien zu verraten. Wenn ich der Lehrer gewesen wäre, hätte mir die Situation weder pädagogisch noch didaktisch Bauchweh bereitet. Ich hätte den Vorfall für eine Geschichts- und Kulturlektion genutzt, in der ich mit den Jugendlichen die verschiedenen Formen der Begrüssung in verschiedenen Kulturen zu verschiedenen Zeiten besprochen und die Frage gestreift hätte, warum das alles wenig mit Religion zu tun hat und wie wir gemeinsam mit Begrüssung etc. umgehen wollen. Und das alles ohne Medien und ohne Geschrei. Das ist nämlich immer noch der Alltag in unseren Schulstuben.
Der eigentliche Skandal ist, dass aus einer solchen Geschichte überhaupt einer wird. Wie sehr wir zulassen oder uns daran gewöhnt haben, dass (religiöser) Dogmatismus unser Alltagsleben bestimmt. Und wie sehr diese Dogmen nicht mehr vereinbar sind mit unserem Alltagsleben. Denn vieles, was nach Religion aussieht, ist in Wahrheit Politik. Aber wir werden davon auf dem falschen Fuss erwischt, denn Religion ist, nicht nur bei den Linken, kein Kerngeschäft von uns. Wir sind masslos überfordert, wenn die Religion politisch wird.
Die Dogmen der Weltreligionen sind ja nicht neu, sondern Jahrhunderte alt, neu ist nur, das sie politisch instrumentalisiert werden. Im Schaufenster eines Lokals einer Bibelgruppe in meinem Quartier hängt seit Jahren in riesigen Lettern der Vers aus Joh. 14.6: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.» Wohl verstanden: Nicht etwa weichsinnig «EIN möglicher Weg» oder «EIN Teil der Wahrheit», oh nein: DER! DIE! DAS! Aber was seit Jahrhunderten so geschrieben steht, kann unter heutigen Bedingungen nur noch als Hasspredigt verstanden werden. Jesus würde sich im Grab umdrehen, wenn er denn noch drin liegen würde. Und natürlich enthält auch das Glaubensbekenntnis des Islam einen entsprechenden Arierausweis, was denkst du denn. Absolutheit ist Machtanspruch, Machtanspruch ist Kriegsgeschrei. In der heutigen aufgeheizten Stimmung seinen Söhnen den Tipp zu geben, doch einfach einmal der Frau Lehrerin den Handschlag zu verweigern, ist daher eine prima Idee – wenn man lebensmüde oder Fanatiker ist. Aber wie gesagt: Es hängen alle gleichermassen drin. Die These, wonach monotheistische Religionen systembedingt unfriedlich sind, wurde meines Wissens noch nicht wirklich widerlegt. Früher oder später (und offensichtlich immer wieder) sind Kreuzzüge eine logische Folge.
In unserer pseudosäkularen Gesellschaft aber verursacht dies nur noch hirnlose Debatten, schon seit Jahrzehnten. Egal, ob wir übers Jesuitenverbot, übers Schächten, übers Kopftuch oder über Minarette reden, es ging nie wirklich um einen religiösen Gehalt, sondern um Macht. Ich denke daher ebenfalls nicht, dass eine Seele zu Schaden kommt, wenn sie mal einer Frau die Hand schütteln muss, aber auch nicht, wenn sie in einer katholischen Kirche ein Kopftuch überziehen muss. Rituale sind nur eine gesellschaftliche Konvention, keine göttlichen Gebote. Aber mir ist natürlich schon bewusst, dass ich für diese Aussage gesteinigt werden würde, wenn’s denn diese Sitte bei uns noch gäbe. Hand drauf.
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