Neulich an der Uni, Podium zur Wachstumsgesellschaft. Mehr Leute da als an einer Flugshow, und das ja auch zu recht. Es duellierten sich: der übliche uninspirierte Quotenökonom von der Economiesuisse, Ressourcenökonom Lucas Bretschger von der Uni, Postwachstumsforscherin Irmi Seidl vom WSL und ein Unternehmensberater. Dazwischen der kantige SRF-Broz (ja, der!) mit einer zwar etwas undurchschaubaren Verhandlungsführung, aber das verzeiht man ihm, wenn man ihm schon mal dabei zugesehen hat, wie er den Mörgeli wie ein Ikea-Schuhschränkli zerlegt und aus halb so vielen Teilen wieder zusammensetzt.
Sein zu Beginn geäusserter Wunsch nach einer ideologiefreien Debatte war allerdings etwas eigenartig. Was hat denn das Thema (Null)Wachstum mit Ideologie zu tun? Und umgekehrt: Kann eine Debatte über Wachstum ideologiefrei sein, und weshalb sollte sie? Während Seidl immerhin anmerkte, dass Wissenschaft nie wertfrei sein kann, meint die Economiesuisse ja nach wie vor, dass immer nur die anderen ideologisch seien. Aber das wäre eine weitere Kolumne wert. Danach wechselte man zügig zur Frage, wie unsere Wirtschaft ohne Wachstum funktionieren könnte. Laut Economiesuisse gar nicht, und der süffisante Hinweis, dass verschiedene Solidarwerke bei uns auf Wirtschaftswachstum angewiesen sind, war natürlich ein Abstaubergoal und leider eine Realität, die wir dringend ändern sollten. Wenn nur wer wüsste, wie.
Wirtschaftswachstum hat mit Energieverbrauch zu tun. Beide Grössen sind bei uns, wie das Bundesamt für Energie jedes Jahr sauber ausweist, zu hundert Prozent gekoppelt, auch wenn verschiedene Kreise immer wieder das Gegenteil behaupten. Daher sind anständige Grüne ja auch wachstumskritisch. Zurück zum menschlichen Energiesklaven und zur Pferdestärke ist allerdings keine Lösung. Eine Entkoppelung täte dringend Not, und dazu müssen neue Geschäftsmodelle entwickelt werden. Das wäre denn auch das spannendste Thema dieses Podiums gewesen, aber leider zeigten die Teilnehmenden nicht eben viel Phantasie dabei. Wie man etwa die Menschen in Nigeria oder Venezuela in die Lage bringt, Geld damit zu verdienen, dass sie Erdöl eben gerade nicht fördern, sondern im Boden lassen – das wäre ein nachhaltiger Business Case! Ob das illusorisch erscheint, ist mir, offen gesagt, piepegal. Es ist genauso illusorisch, im übersättigten Orangensaft- oder Waschpulvermarkt noch einen neuen Orangensaft oder ein neues Waschpulver platzieren zu wollen, und trotzdem wird es gemacht. Es ist nicht einzusehen, warum man mit nachhaltigen Geschäftsmodellen nicht auch Geld verdienen kann. Wertschöpfung durch Dienstleistung statt durch Ressourcenverbrauch, reparieren statt wegwerfen, teilen statt kaufen, solche Ansätze weisen den Weg. Wie weit sich alternative Geschäftsmodelle im Raubtierkapitalismus allerdings durchsetzen können, ist die Frage.
Ansonsten wähnte man sich, wie bei diesem Thema leider üblich, an einer Junkie-Debatte. Vor allem die Economiesuisse sollte ihren Drogengebrauch dringend überprüfen. Amartya Sen, der indische Nobelpreisträger, hat einmal gesagt, dass es weniger auf den Verzicht ankomme, als vielmehr auf die Fähigkeit zum Verzicht. Es geht also bei der Wachstumsdebatte um eine dringliche Ausweitung des Handlungsspielraums. Denn wer zum Wachstum verdammt ist, zeigt so viel IQ wie ein Tumor, und wo der endet, wissen wir ja. Vorerst gilt es, unsere Erpressbarkeit zu verringern. Systeme und Organisationen, die auf Wachstum angewiesen sind, sind zu überprüfen. Dabei kann auf Bewährtes zurückgegriffen werden: Allmenden, Genossenschaftsmodelle, Mitbestimmung, Volksaktien und, etwas frischer, das bedingungslose Grundeinkommen. Alles übrigens gut schweizerisch. Und ein Letztes: Gell, Sie haben auch nicht gemerkt, dass unsere Wirtschaft, wenn man pro Kopf rechnet, seit Jahren kaum mehr wächst. Sagt übrigens die Economiesuisse. Wovor haben die eigentlich Angst?
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