Manchmal wäre es klüger, man würde auf mich hören. Tun die wenigsten und das auch nur selten. Und dann kommt es halt, dass meine Ideen von Organisationen mit einem Gschmäckle aufgegriffen werden, und dann haben wir den Salat. Kürzlich traf mich im Tram fast der Schlag, als ich in der NZZ las, dass Avenir Suisse für das Stimmrechtsalter Null ist. Und für das AusländerInnen-Stimmrecht!
Bis anhin war es ja so, dass ausser dem Mättu und mir keine Sau für Stimmrechtsalter Null war. Allerseits nur Gejohle, wenn ich darüber reden wollte. Und obschon ich den Newsletter dieses komischen Thinktänks abonniert habe, (der übrigens gar nicht so viel vordenkt, sondern eher die Speerspitze der Ideologie ist, gottseidank der richtigen!), muss mir dieser Sinneswandel entgangen sein. Er kommt allerdings auch nur wegen der Demografie zustande, sprich Überalterung. Und wegen der Panik, die Alten übernähmen das Szepter. Denn das Median-Alter in der Schweiz liegt bei 56, das heisst, eine Hälfte der Bevölkerung ist drüber, die andere drunter. Ich liege genau auf dem Median und finde die Argumentation trotzdem bireweich.
Offensichtlich ist Stimmrechtsalter Null eine der Ideen, die für mich das Normalste auf der Welt sind, aber bei anderen nicht. «One man, one vote» ist für mich nicht verhandelbar. Schlicht. Nicht. Verhandelbar. (Auch für Avenir Suisse nicht, notabene.) Und nachdem bis 1971 «man» mit «Mann» übersetzt wurde (wobei die Übersetzer ausschliesslich männlich waren), wird seither «man» mit «Erwachsener» übersetzt, und die ÜbersetzerInnen, Sie ahnen es, sind erwachsen. Beides fälscher geht’s nicht. «Man» heisst Mensch, und kein Mensch ist weder illegal noch stimmlos, und vor allem hat niemand das Recht, eine Grenze im Sinne eines Zensus zu setzen. Das ist Rückfall in tiefstes Mittelalter. All dieser Quatsch mit 15, 16 oder 18! Zu meinen Zeiten waren es noch 20 und noch früher 21. Alleine das beweist ja schon, dass Altersgrenzen reine Willkür sind und nur etwas über die Grenzsetzer aussagen. Wer so denkt, kann geradesogut wieder das Zensuswahlrecht einführen, welches das Stimmrecht ans Einkommen knüpfte. Oder an blonde Haare und blaue Augen… oh, Moment: Supi! Bin dabei.
Jacqueline Fehr mit ihrem Gewichtungsvorschlag bewegt sich auf ebenso dünnem Eis. Warum ausgerechnet eine doppelte Stimme für Junge oder Faktor 1,5 für nicht mehr so ganz Junge? Warum nicht 1,357 für 35,7-altrige? Wo bitte ist die Logik, wo die Stringenz? Wer bestimmt, wo das Jungsein aufhört, wer die Faktorgrösse? Etwa gar eine Abstimmung? Es bleibt Willkür, und Willkür verträgt sich nicht mit Demokratie. «One man, one vote» heisst, dass alle Menschen vor dem Tod und dem Recht gleich sind. Wer das bestreitet, hätte nicht bis hierher lesen müssen.
Und wie bitte? Kinder könnten noch nicht abstimmen? So ein Quark. Sie können auch noch kein Geld ausgeben oder verdienen und trotzdem schon Vermögen haben, das dann halt ihre Eltern verwalten. Genau das würden sie auch mit den Stimmen ihrer Kinder tun, und ein Schelm, wer denkt, das könnten die nicht. Da mangelt es offenbar an Verständnis, was Elternschaft (aber auch Beistandschaft) bedeutet, nämlich die Übernahme von Verantwortung.
Natürlich ahne ich, wo der Klemmer ist. Stimmrechtsalter Null ist kein Schachern, sondern Klarheit. Kein Basar, sondern so absolut, wie die Menschenwürde es eben auch ist. Unteilbar. Unveräusserlich. Die kompromisslose Konsequenz in der Umsetzung von Gleichberechtigung und Fairness. Und es ist wie mit dem AusländerInnenstimmrecht (notabene eine weitere naheliegende Idee): Wer hier lebt, soll auch hier mitbestimmen dürfen – egal welchen Alters.
Aber henu. Es hört ja niemand auf Mättu und mich. Hat nun halt Avenir Suisse die Nase vorn, wenn auch aus falschem Grund. Gönn’ ich diesen Dichtern und Denkern. Müssen auch mal was Schlaues abkupfern.
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