Meine Abschlussarbeit an der Uni schrieb ich zum Thema Heimat. Und bevor Ihnen jetzt das Gesicht einschläft, möchte ich gleich nachschieben, dass das damals ziemlich der Zeit voraus war. Eine schwäbische Kollegin hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass es diesen Begriff in anderen europäischen Sprachen so nicht gibt, was immer den Verdacht nahelegt, dass auch das Phänomen so nicht bekannt ist. Quasi Volkssemantik. Sich in den Fluss schmeissen vor Heimweh, bloss weil am anderen Ufer ein Kuhhirt einen Ranz des Vaches jodelt, das erzählte man sich nur von Schweizer Reisläufern, und das waren ja nun wirklich keine Susis. «Pas d’argent, pas de Suisses», wie es damals schon hiess, scheiss auf die Romantik.
«I gloube, je chliner d’Wält wird, je wichtiger isch, wohär chunnt me u was si eigentlich üser Wurzle. Und i gloube, det isch so chli d’Sehnsucht vo de Lüüt…» Zitat Marc Trauffer, derzeit der erfolgreichste Schweizer (Volks)Musikant und Kitschproduzent. Er repliziert damit eines der gängigsten Klischees über den Heimatbegriff, eine Banalität aus Historikerkreisen: Herkunft ist Zukunft. Klar: Je globaler die Welt, desto verreckter der Absatz von Heimatplunder, Sehn-Süchten und Edelweiss. Kennen wir. Doch was passiert, wenn man seine Heimat unfreiwillig verlassen muss? Oder was, wenn der Ort, wohär me chunnt, fremd geworden ist?
Ich zum Beispiel komme aus Zollikon. Goldküste, Reichtum, Jetset. Denken Sie jetzt und liegen damit so falsch wie ein Edelweiss an der Bahnhofstrasse. Es waren in den 60ern eher: Kleinbürgertum, soziale Kontrolle und, ja, Armut. Plus Strukturwandel, Entwurzelung und ein beginnender Bauboom, der keinen Stein auf dem anderen liess. Quasi Gentrifizierung avant la lettre. Wir Jungen hatten eine breite Palette an Zukunft vor uns: von der Anwaltskanzlei bis zum Needle-Park. Beides aber gab’s nicht im Ort selber, wir sind alle ausgewandert, so wie die Jugend aus Andermatt oder Obergoms. Das Dorf übernommen haben: Firmen, Heime, Schönheitschirurgen und ein paar Reiche, die sich die ortsüblichen Mietzinsen leisten können. Kurz: Wenn ich heute durch Zollikon fahre, ist mir der Ort gründlich fremd geworden.
Where’s the beef? – Nun, die Romantik wurde schon lange zur Politik. Das Unbehagen angesichts der globalisierten Welt, egal, ob es sich in Kleiderordnungsgelüsten oder in der schicken Massenzuwanderung zum Schwing- und Älplerfest ausdrückt, ist zur Grundbefindlichkeit aufgerückt. Abschottung steht dabei Rücken an Rücken zum Heimatkitsch. Weltoffenheit ist kein Alternativprogramm mehr. Das Bürgertum hat sich unwiderruflich in der Lebenslüge verstrickt, dem Kapital freie Fahrt zu überlassen und die sozialen Folgen davon ‹dem Fremden› in die Schuhe zu schieben. Der liberale Kopf steckt tief im Sand und hofft, die Nationalisten werden ihn nicht in den Hintern beissen und die Linken von flankierenden Massnahmen verschonen. Die Linke hält dagegen zaghaft am Internationalismus fest, obschon dieser massive soziale Auflösungstendenzen zeigt, und gleichzeitig gelingt es nicht, ein neues Konzept zu denken, das realpolitisch, unter den bestehenden Machtverhältnissen, auch umsetzbar wäre.
Heimat ist daher gleichermassen ein reaktionäres Denkschema geworden wie zugleich ein innovativer Denkansatz, wenn es darum geht, unsere Arbeitswelt, unsere Solidarsysteme oder unsere Umwelt nicht einfach nur dem entfesselten Handel auszusetzen. Denn dieser kann mit dem Heimatbegriff rein gar nichts anfangen. Heimat hat mit Identität zu tun. Wenn diese schon durch eine Gesichtsverschleierung ernsthaft ins Wanken gebracht werden kann, dann haben wir wirklich ein Problem. Es gilt, die emotionale Stärke des Heimatbegriffs zu retten, ohne der völkischen Komponente eine Chance zu lassen. Und ja, das geht, denn soo speziell ist unsere Heimat nun auch wieder nicht.
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