Stell dir vor, es ist Revolution, und keine guckt hin. Oder es scheint allen egal. In den Medien stand so gut wie nichts, nur die alte Tante hat etwas säuerlich gegörpst. Über den Biber, der letzthin einen Hund verprügelt hat, war wesentlich mehr zu lesen. Aber dass die grösste Stadt der Schweiz und zugleich deren Wirtschaftsmotor in 18 Jahren aus der fossilen Wirtschaft aussteigen wird, war kaum eine Schlagzeile, geschweige denn eine ausführliche Berichterstattung oder gar eine Sonderbeilage wert. Auch wenn das eine Revolution ist. Zwar von Links-Grün losgetreten, aber sogar die traditionell mit der Gasindustrie verschweisste FDP – ihr Fraktionschef im Gemeinderat ist einer der wichtigen Lobbyisten der Branche im Nationalrat und ihr Stadtrat gleichzeitig Verwaltungsratspräsident der Gasversorgungsfirma von Zürich – macht gute Miene zum bösen Spiel. Zumindest vor den Wahlen.
Im Gegensatz zum AKW-Ausstieg haben wir für einmal vieles richtig gemacht. Allem voran, dass der Ausstieg ein Datum hat. Und damit ein Ziel. Und damit eine Wegmarke, die einklagbar und überprüfbar ist, für alle gilt und allen klar ist. Keine faulen Ausreden wie bei den AKW, die so lange laufen dürfen, wie sie «sicher» seien. Wobei dann nicht so ganz nachvollziehbar ist, warum denn niemand der Stadt Zürich ihre AKW-Aktien abkaufen will, wo das doch soo ein sicheres Geschäft ist. Nein, bei den fossilen Energien ist am 31.12.2039 Schluss. Und weil ein solcher Schluss eine Vorwirkung hat, auf Investitionen, auf System- und Geräteentscheide, auf langfristige Verträge und so weiter, deswegen darf man guter Hoffnung sein, dass sogar einige Jahre früher Schluss ist. Natürlich, es ist nur die Stadt Zürich (und einige andere dazu, das sei nicht vergessen), aber der Trend ist gesetzt, das Signal ist da.
Und warum ist das so schlimm, wenn diese Revolution verpennt wird? Zum Beispiel, weil man nicht erkennen und einschätzen kann, was dann im Nachgang so alles abgeht. Beziehungsweise weil man die Relevanz davon nicht versteht. Etwa, dass Gaskraftwerke als Stromlückenersatz propagiert werden, eine Idee, die derart harmlos daherkommt, dass sie sogar von einer SP-Bundesrätin unterstützt wird. Das verträgt sich natürlich nicht mit dem Gasausstieg, wird aber sofort plausibel, wenn man hier ein Rückzugsgefecht der Gasindustrie sieht, die solchermassen noch ein klein wenig ihr Geschäftsmodell retten könnte. Dasselbe bei den Atomkraftwerken, wo man neuerdings wieder über «saubere» Meiler nachdenken will, sogar als Beitrag gegen den Klimawandel. Die FDP hat sich bereits dazu bekannt, was auch deren Ortspartei in Zürich als verlogen dastehen lässt, und das, aua, vor den Kommunalwahlen. Solche Scheindebatten sind Ablenkmanöver, nur damit man nicht vom Energiesparen reden muss, damit man die neuen erneuerbaren Energien immer noch behindern kann und – so viel Küchenpsychologie darf sein – damit man nicht zugeben muss, dass eine grüne Wirtschaft möglich ist.
Denn das wäre die zweite Revolution in Folge, die allerdings vermutlich etwas länger braucht. Weil wir für eine grüne Wirtschaft nicht nur erneuerbare Energien, sondern auch einen komplett anderen Umgang mit Materialien einführen müssen. Weil wir uns keine Rollbacks in fossile Zeiten leisten dürfen. Weil wir dafür unser Konsumverhalten ändern müssen. Und ja, auch weil wir teilen müssten mit dem Rest der Welt. – Nun ja, niemand hat behauptet, Revolutionen seien bequem. Nicht mal die, die niemand bemerkt.
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