Artikel, p.s. Zeitung

Autobahnen … echt jetzt?

Der erste grosse politische Kampf, an dem ich Anfang der 1990er-Jahre teilnahm und den wir krachend verloren haben, war der Widerstand gegen den Uetlibergtunnel. Eine Gruppe von Leuten verschiedener linker Parteien, dies- und jenseits des Uetlibergs, engagierte sich jahrelang politisch, aktivistisch und juristisch gegen dieses Unding, zuerst fundamental dagegen, später im Sinne einer Rückfallposition für eine Tunnelführung ohne Anschluss an die Stadt in der Brunau. 

Aber den Autofanatikern ging es schon damals nicht um rationale Logik: Sie verkauften den Tunnel als «Umfahrung», (was auch ein sogenannt gestreckter Tunnel gewesen wäre), was aber mit einem Südanschluss an die Stadt ganz offensichtlich zur «maximalen Unwahrheit» (wie das Lisa Mazzone heute formulieren würde) mutierte, denn so wurde die Umfahrung zu einem Zubringer. Und so war es und ist es heute noch.

Mich ödet die Vorlage, über die wir im November abstimmen, dermassen an. Nicht schon wieder! Seit Jahrzehnten ist allen klar, dass mehr Strassen nicht weniger Verkehr und langfristig auch keine Entlastung bringen (können), aber den Autofanatikern ist das seit Jahrzehnten wurst. Man darf sich ruhig fragen, was ein weiterer Autobahnausbau eigentlich soll. Für mich ist es eine reine (und sehr kindische) Machtdemonstration. Derart kontraintuitiv ist die Sache, gegenläufig zum Pariser Klimaabkommen, gegenläufig zum Artenschutz, gegenläufig zur Finanzlage (die ja, gemäss den Bürgerlichen, katastrophal sein soll), gegenläufig zu einer rationalen Infrastrukturpolitik, die da sagt: Wir können uns nicht drei ausgebaute Systeme leisten, die Strasse, die Luft und die Schiene. («Folgerichtig» spart man an den Nachtzügen, haha.) Und das angestrebte, bzw. behauptete Ziel, die Entlastung, wurde, wie gesagt, wissenschaftlich wie empirisch schon lange widerlegt. Was bleibt also, ausser automobilem Getrötzel?

Vorab in der Klimadebatte ist oft zu hören, es sei falsch, mit dystopischen (also in Bezug auf das Klima: realistischen), Visionen zu agieren, wir bräuchten optimistische, utopische Narrative vom «guten Leben», von einem gelingenden Leben jenseits der Verschwendung, des Überkonsums und der Umweltzerstörung. Das ist schon recht, aber mir ist das definitiv zu naiv. Mir reicht als Utopie, dass wir überhaupt überleben können, dass wir das langfristig tun können, und, dass das vor allem alle tun können und nicht nur die Menschen des globalen Nordens, die das Geld dazu haben. 

Aber das reicht offensichtlich nicht aus. Meines Erachtens allerdings nicht, weil sich die Menschen ein solches Leben mangels «positiven» Narrativen nicht vorstellen können. Es wird ja auf allen Kanälen bis zum Abwinken verbreitet, etwa mit der Zelebrierung intakter Natur in der Tourismuswerbung, mit der Empfehlung für «gesunde» Nahrungsmittel in allen Medien oder mit glühenden Appellen zur Achtsamkeit in der Ratgeberliteratur: Das pure grüne Paradies!

Der Kontrast zur Realpolitik, die man klimatechnisch als reaktionär bezeichnen muss, ist grotesk. Eine aktuelle Erklärung dazu von der Philosophin Carolin Emcke: «Es gibt im politisch-medialen Feld eine riesige Verdrängungs-Verrätselungs-Operation, die uns Bürger:innen immunisieren will gegen den Schmerz der Erkenntnis, den wir empfinden müssten, wenn wir uns einliessen auf die permanenten Disruptionen, Störungen und Zerstörungen, die unsere fossile Lebensweise verursacht hat.» Verdrängen. Verrätseln. Autobahnen bauen. Und alles wird gut.

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