36 Prozent. Sie erinnern sich: Die Armeeabschaffungsinitiative bekam 1989 ebenfalls 36 Prozent Zustimmung – und die Armee hat sich nie mehr davon erholt. Gemäss letzten Umfragen könnte die Vollgeldinitiative, der Untergang unserer Banken, der Ruin unseres Wohlstands und die Abschaffung der Vernunft, auch auf 36 Prozent Ja kommen. Das ist keine Mehrheit. Aber eine kleine Erschütterung. Wie werden sich die Banken davon erholen?
Mich stimmt die ganze Debatte über diese Initiative nachdenklich. Verstanden hab ich davon nur das wenigste. Ich bin zu blöd. Wie vermutlich rund 95 der Bevölkerung auch. Und obschon ich schon mal ein Podium zum Thema geleitet habe! Leuten wie mir übergibt nun das demokratische System die Verantwortung – und lässt uns im Stich. Denn in der Pflicht stehen nicht wir, das Stimmvieh, in der Pflicht stehen die ExpertInnen, uns die Sache so zu erläutern, dass wir sie verstehen. Und wenn das Geldsystem und der Volkskopf aneinanderstossen und es klingt hohl, dann ist nicht automatisch der Volkskopf schuld.
Man muss sich das mal vor Augen halten: Es geht nicht um eine Macht- oder Interessenfrage nach dem Motto «Die Sache haben wir begriffen, aber wir sind gegensätzlicher Meinung». Sondern es geht tatsächlich um eine Frage, bei der sich noch nicht mal diejenigen Leute einig sind, die was davon verstehen sollten, ja, es ist noch schlimmer: Noch nicht mal diese Leute sind sich einig, was denn überhaupt die Frage sei. Das ist, mit Verlaub, grotesk. Und entlarvend. Es bestätigt höchstens, dass die Ökonomie keine Wissenschaft ist, sondern eine Religion.
Die möglichen 36 Prozent Ja an der Urne bekräftigen die alte These, dass man eine Volksinitiative nicht zwingend gewinnen muss, um zu gewinnen. Keine einzige Partei hat eine Ja-Parole herausgegeben, und dennoch hagelt es Zustimmung. Ist das jetzt einfach mangelnde Volksnähe? Ist das Feigheit? Oder sind die 36 Prozent einfach nur hysterisch? Wurden wir alle von einem Initiativkomitee verführt, das kaum Geld hat, eher David als Goliath ist und, glaubt man den Gegnern, erst noch mit winzigen argumentativen Steinchen in der Schleuder hantiert?
Dabei wäre eine sachgerechte, nachvollziehbare und ausgedehnte Debatte wichtig gewesen. Daniel Binswanger hat es schon vor Wochen auf den Punkt gebracht: «Diese Frage ist so wichtig, weil Kredite beziehungsweise Schulden die Droge des heutigen Wirtschaftssystems darstellen. Um weiterhin wachsen zu können, braucht die heutige Wirtschaft immer höhere und potenziell tödlichere Dosen an Leverage, an Fremdfinanzierung, an Schulden. Es herrscht breiter Konsens darüber, dass das eine fatale Entwicklung ist.» Sag ich doch: Unvernünftig ist weniger das Vollgeldexperiment, unvernünftig ist mit Sicherheit das heutige Geldsystem! Es kann nur noch besser werden. Dieselbe Zeitung, in der Binswanger publiziert, hat auch geschrieben, dass die VollgeldinitiantInnen, notabene teilweise gestandene ÖkonomInnen, uns irreführen, die Hälfte verschweigen würden und geradezu lächerliche Vorstellungen hätten, wie Banken funktionieren. Lächerlich ist allerdings alleine dieser öffentlich vorgeführte Streit unter ExpertIπnnen, die sich gegenseitig vorwerfen, von Banken und vom Geld rein gar nichts zu verstehen. So wie ich und das Volk, der grosse Lümmel.
Ich stimme trotzdem ja. Nur schon, damit die Debatte weitergeht. Nur schon, damit die Banken irritiert sind, wie damals die Armee. Nur schon, weil es vor 50 Jahren hiess: «Soyez réalistes, demandez l’impossible.»
Markus Kunz
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