Heute muss ich Sie leider ein bisschen langweilen. Denn es gibt Themen, die gehen uns gleichermassen etwas an wie sie uns überfordern, und ich rede jetzt nicht von der Präimplantationsdiagnostik, sondern vom ganz banalen Strom aus Ihrer Steckdose. Jede Debatte über Energie oder Energiewirtschaft wird ziemlich schnell ziemlich technokratisch. Die Mechanismen eines europäischen Strommarkts zum Beispiel sind derart komplex, dass eigentlich kaum noch jemand versteht, was abgeht. Natürlich kann man einfach fröhlichen Mist verzapfen, es merkt’s ja eh keiner, manchmal kann man in guten Treuen unterschiedlicher Ansicht sein, und öfters wird die Debatte schlicht für politische Manöver instrumentalisiert, wie das letzthin etwa der Ex-Alpiq-Chef Schweickardt in der Presse vorgeführt hat, ganz nach dem unglaublich originellen Motto ‹Schuld sind die Erneuerbaren›.
Warum zum Beispiel der Marktpreis für Strom europaweit im Keller ist und dort auch noch ein ganzes Weilchen bleiben wird – Alpiq und Axpo sprechen von 2 Rappen pro Kilowattstunde –, ist unterschiedlich erklärbar. Zunächst allerdings ganz simpel: Es gibt ein Überangebot an Strom, vor allem weil der Markt verzerrt wird. Wenn es irgendein Beispiel dafür braucht, dass der freie Markt nur theoretisch (und natürlich auch in Nimmerland) funktioniert, dann ist es der Strommarkt. Sämtliche Staaten in Europa greifen ihren zunehmend unrentabel arbeitenden Stromerzeugern unterstützend unter die Arme, denn Strom ist eben doch nicht einfach nur irgendein Gut, sondern existenziell für die Volkswirtschaften.
Atomstrom, Gas, Kohle, Sonne oder Wind – was auch immer Sie in ihren vier Wänden verbraten, es ist subventioniert, gefördert, steuerentlastet, usw. Und neuerdings hat ja das stinkbürgerliche Parlament in Bern den Willen bekundet, Schweizer Wasserstrom zu subventionieren. Halleluja. Das nenn’ ich die Krankheit zu fördern, indem man sie bekämpft. Kaum ein Kraftwerk kann unter diesen Umständen noch rentabel betrieben werden, fast überall sind die Gestehungskosten höher als die Marktpreise. Die CEO von Alpiq, Jasmin Staiblin, will daher ihre Wasserkraftwerke samt Stauseen an den Meistbietenden verhökern, denn der Markt ist frei und die Not bei Alpiq gross. Aber auch alle AKW stehen im Regen, denn sie produzieren mit über 5 Rappen Kosten und verlieren Tag für Tag Geld. Und sind zunehmend materialmüde. Und verursachen Abbruchkosten in unbekannter Höhe. Und müssen 100 000 Jahre lang endgelagert werden. Frau Staiblin graust’s davor, die BKW haben in Mühleberg die Reissleine gezogen, und die morschen Werke in Beznau werden, so meine bescheidene Wahrsagung, nicht mehr lange leben. Falls bei den Betreibern noch ein Funken Verstand vorhanden ist.
Die AKW-Wirtschaft ist derart gründlich verkachelt, dass auch die Ungebildeten unter ihren Verherrlichern schon lange kalte Füsse haben. Während in Tschernobyl immer noch Menschen an den Spätfolgen der Atomexplosion vor 30 Jahren sterben, während in Fukushima fast täglich neue Überraschungen auftauchen, kämpfen unsere AKW-Betreiber ums Überleben. Der Ausgang ist absehbar: Sie werden verlieren, und wir alle werden das Begräbnis bezahlen. Was nicht zuletzt auch ein Grund ist, warum wir kleine KonsumentInnen nicht von den tiefen Preisen profitieren, denn so ein Begräbnis ist sauteuer. Die Bürgerlichen versuchen, das Debakel den Erneuerbaren in die Schuhe zu schieben und gleichzeitig die Energiewende nochmals und in Richtung Steinzeit zu wenden. Und in der ganzen Aufregung geht der Klimaaspekt der Energiedebatte schneller unter, als das Pariser Abkommen ratifiziert werden kann.
Daher: Gnueg Heu dune! Steigen wir aus dem AKW-Mist aus! Erster Matchball am 5. Juni in Zürich, zweiter Matchball im Herbst mit der Grünen AKW-Ausstiegsinitiative. Lieber ein Ende mit Kosten, als Kosten ohne Ende!
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