Artikel, p.s. Zeitung

Mittelmass

Mit der politischen Mitte konnte ich noch nie viel anfangen. Mitte ist kein Programm. Und sie hat keinen Ort. Blaise Pascal sagte: «Le monde est une sphère, dont le centre est partout, la circonférence nulle part.» Recht hat er. Man kann sich durchaus eine Welt vorstellen, in der die SVP die Mitte darstellt. Den rechten Rand will man sich dann aber lieber nicht vorstellen. Den linken schon gar nicht. Es geht also einmal mehr um Definitionsmacht. Mir glaubt man ja auch nicht, wenn ich behaupte, ich sei die personifizierte Mitte. Nicht weniger komisch ist es, wenn man uns die Operation Libero oder Gerhard Pfister als Mitte vorstellt. Wenn ich was gelernt habe in bald 40 Jahren politisieren, dann das, dass es die erste Politikpflicht ist, den Nullpunkt in die eigene Richtung zu verschieben. Alles andere sind Nebelpetarden. In einer Zeit, in der alle versuchen, sich eingemittet zu verorten – AfD-Gauland versucht das sogar mit dem staatlich approbierten Faschisten Höcke! –, stellen sich daher drei Fragen:

 

Könnte es, erstens, sein, dass man politische Mitte mit Irrelevanz verwechselt? Eine Partei, die langfristig überleben will, muss einen gesellschaftlichen Grundwiderspruch ansprechen, also einen mit existenzieller Bedeutsamkeit. Etwa den zwischen Arbeit und Kapital. Oder den zwischen Kapital und Ressourcen. Oder den zwischen Wirtschaft und Gerechtigkeit. Oder auch den zwischen Abschottung und Öffnung. Leider aber ist ein Widerspruch zwischen Links und Rechts, den die Mitte meint adressieren zu müssen, keiner. Sondern die fruchtbare Grundlage jeder Demokratie.

 

Könnte es, zweitens, und daraus folgend sein, dass man politische Mitte mit fehlender Positionierung verwechselt? Etwa, weil es nicht beliebig viele Positionen gibt, die auch als solche erkennbar wären? Denn das braucht Haltung oder Radikalität. Ich möchte nur daran erinnern, dass die ErfinderInnen unseres Bundesstaates «Die Radikalen» hiessen. Was weniger mit Radikalismus, sondern viel eher mit den semantisch zu Grunde liegenden Wurzeln zu tun hat, womit das Zu-Ende-Denken gemeint ist, das jeder politischen Haltung gut ansteht, damit gesellschaftspolitische Lücken auch wirklich mit Lösungen gefüllt werden. Schüchtern nachgefragt: Wissen Sie, zum Henker, welche Lücken die Mitte bei uns füllt? Oder wie tief die Wurzeln der GLP reichen?

 

Könnte es, drittens, sein, dass man Mitte mit mangelnder Klarheit oder Labilität verwechselt? Man tut ja gerne so, wie wenn nur die Mitte kompromissfähig wäre, wie wenn sie zum Überleben einer Demokratie unumgänglich wäre. Falsch. Nur die Ränder sind kompromissfähig (nicht zu verwechseln mit kompromissbereit), weil sie die wichtigste Voraussetzung auf dem politischen Handelsplatz erfüllen: Sie starten, siehe oben, von einer erkennbaren Position. Die Leute vergessen immer wieder, dass der Kompromiss das Endresultat eines politischen Prozesses ist, nicht dessen Ausgang. Kommt hinzu: Die Ränder vertreten klare Interessen. Welches Interesse vertritt dagegen eine Mitte? Ist das überhaupt eine Klasse? Oder nur eine Crowd?

 

Die Seele der Schweiz ist nicht in der Mitte positioniert. Sie mag erhebliche Rechtslast aufweisen, aber sie ist hoffentlich auch in Zukunft bereit, willens und fähig, Lösungen zwischen den Polen zu finden, den Weg zu suchen. Das brauchen wir, vorab in Zeiten galoppierender Donaldisierung, aber eine institutionalisierte Mitte braucht’s dazu nicht.

 

Zwischen Rechts und Links gibt es jede Menge Distanz, aber keine Lücke.

 

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