Vor ein paar Jahren bekam ich Post. Nun gut, werden Sie sagen, tolle Kolumne, passiert mir ja rein gar nie. Aber solche Post bekommen Sie in der Tat nie, hätten Sie aber gerne. Der Absender war ein mir unbekannter Rechtsanwalt, und ich muss zugeben, dass ich leicht zusammenzuckte, der Inhalt des Briefes war dann aber sehr überraschend und bestand aus einer schlechten und einer guten Nachricht. Die schlechte war, dass ein Cousin meines Vaters gestorben war, die gute Nachricht war, dass er mir Geld vererbte.
Nun konnte ich mich sozusagen gar nicht an diesen Mann erinnern. Dass er märchenhaft reich gewesen sein soll, hätte ich nie mitbekommen – Reichtum meidet meine Sippe –, aber jedenfalls bedachte er auch die weitere Verwandtschaft, was sehr nobel von ihm war, Friede seiner Asche. Nicht, dass Sie jetzt denken, die Summe sei derart hoch gewesen, dass ich nicht mehr arbeiten muss und nur noch Kolumnen fürs P.S. schreiben kann, aber auch einem geschenkten Zwergpony schaut man nicht ins Maul.
Weshalb ich Ihnen das erzähle? Weil die Niederlage bei der Erbschaftssteuer-Initiative – kühner Übergang! – das Thema keineswegs obsolet gemacht hat, im Lichte der gegenwärtigen AHV-Hysterie gesehen sogar ganz im Gegenteil. Immer noch wundere ich mich über mein Volk, das die einmalige Chance versifft hat, stillgelegtes Vermögen in Ertrag umzuwandeln, ohne dass jemandem ein Haar gekrümmt wird, und es damit verpasst hat, die AHV ein für alle Mal zu sichern. Gut, Sie werden mich nachsichtig, aber bestimmt darauf aufmerksam machen, dass «dieses Volk» sich schon mal eine zusätzliche Ferienwoche verkniff oder sich mit rotem Kopf gegen Minarette aussprach, ohne je eines real zu Gesicht bekommen zu haben. Aber dennoch: Wie funktioniert das eigentlich mit der Gehirnwäsche?
Zum Beispiel so: Das Narrativ, wie Verdrehungen heute so schön genannt werden, dass die Demografie, sprich: Alterung, die Schuldige am AHV-«Debakel» sei, hat sich bereits derart stark in den Gehirnen eingenistet, dass auch ich wohl kaum mehr dagegen anstinken kann. Diese Haltung folgert mit logischer Unerbittlichkeit: Die ältere Generation ist zu zahlreich (selber schuld!), es gibt zu viele RentenbezügerInnen, ergo sollen sie weniger Rechte haben und weniger Geld erhalten. Meine Wahrheit setzt dagegen: Es kommt nicht darauf an, wie viele Leute in die Altersvorsorge einzahlen, sondern darauf, wieviel sie einzahlen. Das ist beileibe keine grammatische Petitesse, sondern eine Frage von Recht und Gerechtigkeit. Es ist der Unterschied zwischen Demografie und Verteilungskampf. Leider geht dieser politische Fakt immer mehr vergessen.
Unsere Gesellschaft ist mächtig schizophren: Gesundheitsterror wo man hinguckt, rapide zunehmende Lebenserwartung, Phantasien von 130 als Sterbealter, der Tod wird verdrängt. Dem gegenübergesetzt: Keine Jobs für Menschen 50+, schwindender Respekt vor dem Alter, das als finanziell nicht tragbar dargestellt wird. Ein weiteres Narrativ, denn die Generationenbuchhaltung, also die Kosten-Nutzen-Rechnung jedes einzelnen Jahrgangs, bringt es an den Tag: Die Jungen, so ungefähr bis zum Abschluss der Erstausbildung, kosten. Danach folgen produktive Jahre mit einem «Ertragsüberschuss», und ab dem AHV-Alter werden die Jahrgänge wieder saldo-negativ, will heissen: Jeder Mensch ist ca. die Hälfte seines Lebens ein Kostenfaktor und die andere Hälfte ist er oder sie NettozahlerIn. Der Witz ist allerdings, dass dies für alle gilt, egal, wie viele oder wenige in einem Jahrgang sind. Sie alle haben einbezahlt, wir Babyboomer also wesentlich mehr als andere, und sie alle sind vor dem Gesetz gleich. Wenn wir beginnen, die Regeln der Anzahl Betroffener anzupassen, erklären wir den moralischen und politischen Bankrott. Oder anders gesagt: Eine Gesellschaft, die auf den Pöstler angewiesen ist, um den Wohlstand etwas gerechter zu verteilen, ist gescheitert.
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