Manchmal passiert es mir immer noch, dass ich fast schon körperlich leide, wenn ich bestimmte Artikel lese. Zum Beispiel all diesen Quark betreffend Toleranz, und dass nur politisch eingemittete Menschen dazu fähig seien. Meist wird dabei nicht wirklich definiert, was unter dieser ominösen Toleranz überhaupt zu verstehen ist. In wissenschaftlichen Studien wird zwar die Literatur zusammengetragen, aber sie wird nicht verarbeitet. Was herauskommt, geht über die Aussage, dass extreme Ansichten tendenziell intolerant seien, kaum hinaus, wobei tunlichst vermieden wird zu begründen, warum, weil man die inhaltliche Debatte ja weglässt. Ist ja nicht wissenschaftlich. Und so passiert es, dass eine extreme antisemitische Haltung zum Beispiel einer extremen Haltung in der Klimafrage gleichgesetzt wird. Logo, ist ja beides extrem. Was das ist, wird dann etwa in einer ‹.objektiven› Zehner-Skala wiedergegeben, wobei diese auf Eigendeklaration beruht, was bedeutet, dass alle, die keinen Arsch in der Hose haben, behaupten, sie lägen bei 5. Also gutschweizerisch. Also genau das, was die Wissenschaft «sozial erwünscht» nennt. Was auch erklärt, warum bei den Klimaklebern dann plötzlich alle wieder intolerant sind.
Dirk Baier vom ZHAW-Institut für Delinquenz und Kriminalprävention lieferte unlängst eine abschliessende Studie zum Thema. Dort fasst er auch die aktuellen Erkenntnisse zur Definition von Toleranz zusammen, und man muss schon sagen: Das ist sehr entlarvend. Aus dem einfachen Grund, weil kaum eine Definition zu genügen weiss. Toleranz wird zum Beispiel sehr oft mit «Duldung» gleichgesetzt. Aus dieser Sicht muss ich sagen, dass ich als Linker gewaltig tolerant bin, weil ich schon seit mehr als einem halben Jahrhundert die bürgerliche Mehrheit in diesem Land klaglos erdulde. Naja, fast klaglos. Erdulden ist allerdings noch lange nicht tolerant. Aussagen wie «Wir dulden Flüchtlinge, solange sie uns nicht stören» illustrieren das. Und ja, links und rechts sind da nicht gleich. Aber ob etwa die wissenschaftlich belegte Erkenntnis, «je mehr rechts, desto homophober» dazu beiträgt, die Toleranz auf der rechten Seite des Politspektrums zu beweisen, oder ob die rechte Toleranz Putin gegenüber wirklich so vorbildlich ist: Naja. Baier belegt in einer anderen Studie über Schweizer Jugendliche auch, «dass die Affinität zu linken Parteien der Schweiz mit niedrigerer Zustimmung zu ausländerfeindlichen, muslimfeindlichen und antisemitischen Einstellungen einhergeht.» Aha. Daher sind Schlagzeilen über die linke Intoleranz nicht mehr, als was sie sind: Wahlkampf.
Dabei sind sie natürlich voll korrekt! Ich gestehe hiermit, ich bin fanatisch intolerant, weil ich eine ganze Menge nicht dulde, etwa, dass man im Namen des Mammons unser Klima zerstört, oder dass man im Namen des Herrn Kinder fickt, und so weiter: Ich könnte Seiten füllen mit meiner Intoleranz. Aber lassen wir zum Schluss doch lieber nochmals Dirk Baier zu Wort kommen. Sein Fazit: «Politisch ‹links› eingestellte Befragte sind nicht konsistent intoleranter eingestellt als politisch ‹rechts› eingestellte Befragte. Im Gegenteil gilt, dass eine ‹(eher) linke› politische Orientierung mit einer stärkeren Befürwortung verschiedener Bevölkerungsgruppen einhergeht und insofern als toleranzsteigernd einzustufen ist.» Aber auch er sagt: «Die Toleranz links-orientierter Befragter ist tatsächlich begrenzt.» Und das finde ich sehr gut so. Ich nenne es: Haltung zeigen.
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