Gedanken aus einem Land, dessen nationaler Zusammenhalt momentan aus einer Tunnelröhre besteht.
Vor der Katastrophe soll man natürlich alles tun, um die Katastrophe zu verhindern. Und es war in der Tat schön zu sehen, dass die Wüste Schweiz noch lebt, dass die berühmt-berüchtigte Zivilgesellschaft tatsächlich existiert und sich endlich auch wieder einmal als politisches Wesen verstanden und sich gegen den Wahnsinn zur Wehr gesetzt hat. Und so haben wir denn die Katastrophe abgewendet. – Haben wir?
Haben wir natürlich nicht, wir haben sie lediglich etwas verlangsamt. Die Rechnung der SVP, auf so oder so angelegt, ist aufgegangen. Die Basar-Methode – fordere 5, erwarte 2, behalte 3 – war erfolgreich. Zwar mag es bei der SVP lange Gesichter gegeben haben, weil sie im Vorfeld einen Sieg erwarten durfte, aber das haben die schneller weggesteckt, als wir unsere Frauen und Töchter vor ihnen verstecken konnten. Das deutliche Nein vermag kaum zu kaschieren, dass das Unheil bereits vor der Abstimmung angerichtet war. Volksinitiativen müssen nicht angenommen werden, damit sie ihre Wirkung entfalten können. Nicht zuletzt wir Linken bauen ja immer wieder auf diesen Effekt, egal ob es sich um die Abschaffung der Armee oder um die Einführung eines Mindestlohns handelt. Zweitens: Auch das klare Nein schleckt nicht weg, dass 40 Prozent der Menschen in unserem Land nichts gegen Apartheid haben, 40 Prozent ist wurscht, wenn die Grundwerte unseres Staates ausser Kraft gesetzt werden. Denn nochmals: Das nun gültige Gesetz, eines der härtesten in Europa, atmet denselben Geist. Und wird von Leuten wie zum Beispiel Ständerat Jositsch nicht wirklich kräftig in Frage gestellt. Es bleibt daher die Frage: Woran merkt man, dass die rote Linie überschritten ist?
Wohl deshalb ging mir in den letzten Wochen immer wieder, bruchstückhaft, ein bekanntes Gedicht durch den Kopf. Ich meinte, es sei von Dietrich Bonhoeffer, dem in Plötzensee von den Nazis gehenkten Theologen, aber es stammt offenbar vom zwielichtigen Pastor Martin Niemöller. Item. Es geht ungefähr so: «Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie die Juden holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der hätte protestieren können.» Nun, sie haben die kiffenden Secondos also nicht geholt, die Sozialhilfeschwindler dagegen kommen an die Kasse. Das Argument, das Volk habe immer Recht, ist in den Händen der falschen Leute nicht schwächer geworden. Auch der Faschismus stützt sich darauf ab, wenn es ihm nützt. Eine Strategie dagegen habe ich in den vergangenen Wochen nicht gehört.
Immerhin: Erstmals wurde die SVP in ihrem Kerngeschäft geschlagen. Bisher war sie ja nur mit ihren drei ausländerfeindlichen Vorlagen (Minarette, MEI, Ausschaffung) erfolgreich, der Rest ihrer Initiativen und Referenden ist meist abgeschifft. Nun muss sie sich auch hier mehr Mühe geben. Ob ihre neue Gegnerin, diese unsichere Genossin namens Zivilgesellschaft, ihr dabei weiterhin in die Suppe speuzen wird, wage ich zu bezweifeln.
Es mag links und nett sein von Frau Sommaruga, wenn sie diesen Leuten am Abstimmungssonntag persönlich gedankt hat – aber wenn es um eine politische Haltung geht und um langen Schnauf, dann sind für mich die Parteien eben doch noch etwas verlässlicher. Oder möchten Sie in einem Land leben, in dem der Faschismus nur noch durch Crowdfunding aufgehalten wird?
Ich halte mich da eher an die sächsische NPD und ihren Slogan auf einem ihrer Wahlplakate: «Konsequent abschieben! – Unser Volk zuerst!» Aha. Gut gibt’s Tunnelröhren.
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