Erschienen im PS vom 14. Juli 2011
Gleich drei Volksinitiativen greifen im Wahljahr das Zuwanderungsthema auf: Unter dem Titel der Sorge um Natur und Infrastruktur wollen sie die Zuwanderung begrenzen. Ist das ein grüner Ansatz? Löst das die Probleme, oder ist es nur Symptombekämpfung? – Eine Antwort im Spannungsfeld zwischen Bevölkerungswachstum, Wirtschaftsförderung und Ressourcenverbrauch.
Noch nicht mal die Problematik ist eindeutig. Während die Wirtschaftsmotoren Genf und Zürich über „Dichtestress“ klagen, entvölkern sich ganze Täler und Gegenden im ländlichen Raum. Und während intensiv darüber gestritten wird, ob eine zusätzliche Gotthardröhre und nochmals eine schnellere Verbindung Zürich-Bern gebaut werden solle, sind Hunderte von Gemeinden einfach nur froh, wenn wieder einmal eine Familie zuzieht oder eine Postautoverbindung nicht aufgehoben wird.
Das erstaunt allerdings kaum: Was aktuell alles als Zuwanderungsproblem betitelt wird, ist nichts anderes als die Folge unseres immer noch erheblichen Wirtschaftswachstums und des sozialen Wandels. Der Umbau zur Dienstleistungs- bzw. Informationsgesellschaft bringt neue MigrantInnen mit hoher Bildung und ebensolchen Ansprüchen ins Land. Die Internationalisierung der Wirtschaft bringt Businessnomaden, die (wie früher die Saisonniers), zum Arbeiten ins Land kommen und oft nicht lange bleiben. Diese Wirtschaftsentwicklung, und damit ihre Folgen, ist aber regional ungleich verteilt. Und, was auch für die neuen MigrantInnen gilt: Es wurden Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen. Menschen mit Ansprüchen an die Wohn- und Lebensqualität, an den Konsum und die Erholung, und im Unterschied zu früher haben sie auch das Geld, um sich das alles zu leisten.
Der Schweizer Mittelstand reagiert erschreckt. Das Bevölkerungsthema ist plötzlich Wahlkampfthema. Bereits drei Initiativen zur Begrenzung der Zuwanderung sind lanciert. Als Begründung muss stets die Umwelt herhalten: Zersiedelung, Puff im ÖV, Stau im Tunnel, Wohnungsnot in den Städten, ja sogar die Zukunft der Schweizer AKW wird den Ausländern angelastet.
Natürlich sind gewisse Folgen von bald 8 Millionen Menschen in der Schweiz nicht zu übersehen: Der Druck auf Naturräume, die Beanspruchung der Infrastruktur, die Knappheit an Wohnraum. Nur, das ist noch lange nicht in jedem Fall eine Folge der Zuwanderung bzw. der Bevölkerungsdichte. Gerade etwa der Wohnflächenkonsum ist in den letzten Jahren massiv viel stärker gestiegen als die Bevölkerungszahl. Und Stau gab es auf unseren Strassen lange vor den Ausländern…
Die ehrliche Debatte über die wahren Ursachen ist tabu, laut sagen es nur die Grünen: Die meisten Probleme sind hausgemacht und haben mit unseren Ansprüchen an die Lebenshaltung zu tun. Unsere Wirtschaft mit ihrem Wachstumszwang verschleisst viel zu viele Ressourcen, die flankierenden Massnahmen bei der Personenfreizügigkeit werden unterlaufen, der Wohnungsmarkt in den Städten spielt nicht, und unsere Raumplanung hat zu wenig Zähne, um die Zersiedelung in den Griff zu bekommen.
Grüne Politik sieht anders aus. Nicht nur haben wir bereits lange vor der Zuwanderungshysterie unsere Volksinitiative für eine Grüne Wirtschaft gestartet, welche unseren ökologischen Fussabdruck massiv senken will, sondern wir verlangen auch differenzierte Massnahmen, um die Zuwanderung, die ja von breiten Wirtschaftskreisen getragen wird, zu begleiten: Dazu gehören Mindestlöhne und Massnahmen gegen Lohndumping genau so wie Massnahmen gegen die Wohnungsnot. Die Wirtschaftsförderung muss nachhaltig werden, lokale Betriebe müssen ebenfalls profitieren. Die Unternehmensbesteuerung muss berücksichtigen, ob die Unternehmen soziale und ökologische Kriterien erfüllen. Der überrissene Steuerwettbewerb zwischen einzelnen Standorten ist zu beenden. Die Pauschalbesteuerung muss überall abgeschafft werden. Durch verdichtetes Bauen ist das Flächenpotenzial vielerorts noch besser auszuschöpfen, ohne dass die Bedürfnisse nach Freiraum, Erholung und Grünräumen sowie die Ansprüche der Natur ausser Acht gelassen werden. Genossenschaftlicher Wohn- und Gewerbebau ist zu fördern, weil damit selbstbestimmt gewohnt werden kann ohne die Zersiedelung durch Einfamilienhausghettos.
Die Aufzählung könnte noch fortgesetzt werden; in der Summe geht es um den Umgang mit unserem Wachstum. Die Zuwanderungsdebatte dagegen will davon ablenken. Eine direkte Zuwanderungsbegrenzung bringt, ausser massiven Problemen mit der EU, nichts.
Markus Kunz, Geschäftsleitung Grüne Schweiz
Wie wäre es wenn wir die Zuwanderung des Kapitals mal etwas genauer unter die Lupe nehmen. Das scheint mir zumindest im urbanen Raum, aber im ländlichen ist es wohl nicht viel anders, viel mehr Probleme zu verursachen als die netten Menschen über die sich gewisse Kreise dermassen enervieren.