Artikel, p.s. Zeitung

Winterdunkelflaute

Ein Medienzombie torkelt wieder herum. Er heisst «Stromlücke» und stinkt schon ganz gewaltig. Neuerdings hat er einen schicken Übernamen, er nennt sich «Winterdunkelflaute». Das kommt davon, dass der Zombie eine ganz kleine theoretische Lebensberechtigung hat: Wenn gleichzeitig gerade nicht sommerlich warm ist, keine Sonne scheint und kein Wind weht – dann kann es in der besten aller Welten, in der wir uns fast nur mit Solar- und Windkraftanlagen versorgen und alle AKW abgeschaltet haben, in Europa zu einer zu geringen Produktion kommen. Dereinst. Vielleicht. Kurzzeitig. Und hier kommt der zweite Medienzombie ins Spiel, das Gaskraftwerk. Dieses trägt neuerdings ebenfalls einen Zusatznamen, nämlich «CO2-kompensiert». Und weil wir zwar mittlerweile schon ganz gut wissen, wie man CO2 zurückgewinnt, aber bei Weitem noch nicht, wie man es lagert und wo, gehört das Gaskraftwerk ins Land der Einhörner und Regenbögen.

 

Stromlücken sind seit ihrer Geburt in einem PR-Büro eher theoretisch, und vor allem haben sie kaum etwas mit erneuerbaren Energien zu tun. Die aktuelle, der sogenannte Sommaruga-Gap, hat viel mit einem fehlenden Stromabkommen mit der EU und Strom-Handelszwängen zu tun, aber nichts mit Sonne, Wind und Wasser. Dass sie 2025 eintreten soll, dann, wenn offenbar unsere AKW abgeschaltet werden, wär mir neu, aber ich weiss halt auch nicht alles. Auch dass die Marktwirtschaft versagt, hat mir niemand gesagt. Denn bei einer Knappheit des Angebots müsste doch eigentlich die Nachfrage sinken. Das tut sie aber nicht. Allerorts wird das Recht auf Verschwendung eingeklagt. Aktuell grad mal an den Tankstellen unseres Landes, wo sich zwar alle aufregen über den Benzinpreis, aber leider leider niemand eine Möglichkeit sieht, etwas weniger Benzin zu verbrauchen. Junkies sind im Gegensatz dazu direkt flexibel. Dabei reden wir schon seit mindestens einer Generation – länger überblicke ich das nicht – über ein Energiesparpotenzial von 30 Prozent, das zudem auch noch wirtschaftlich wäre! Kein Kaltduschen, sondern einfach nur ein Sparpotenzial, das niemanden stört, weil es niemand bemerken würde. Aber auf den Markt, der das richten soll, warten wir immer noch.

 

Wissen wir denn eigentlich, wie viel Strom wir verschwenden? Nun, Berechnungen gibt es kaum, aber vorsichtige Schätzungen. Ein paar Beispiele: Das Standby-Problem weist alleine ein Sparpotenzial von knapp 2000 GWh auf. Bei den Heiz-Umwälzpumpen (das haben alle Menschen in ihrem Keller) könnte man locker 75 Prozent einsparen, was rund 1300 GWh entspricht. Bei den Industriemotoren liegen auch 25 Prozent drin, entsprechend fast 3000 GWh. Haushaltgeräte werden jedes Jahr etwa fünf Prozent effizienter, was vermutlich nochmals 1000 GWh spart. (Die Quelle ist überall das Bundesamt für Energie.) Und das sind nur ein paar Baustellen, aber schon das wären sehr defensiv geschätzte 7300 GWh. Zum Vergleich: Alle AKW zusammen produzieren knapp 23 000 GWh pro Jahr. Rechne.

 

Dabei ist die richtige Verschwendung, also der Verbrauch ohne Nutzen, noch gar nicht berücksichtigt, einfach deswegen, weil logischerweise keine Zahlen existieren: Niemand misst, wenn in einem Zimmer die Lampe brennt, obwohl niemand drin ist. Der langen Rechnerei kurzer Schluss ist daher: Wir haben keine Ahnung, was wir eigentlich verschwenden, aber wir wissen, dass wir getrost 30 Prozent Strom und noch viel mehr an Wärme einsparen könnten. Wir müssten uns daher auch von Winterdunkelflauten nicht einschüchtern lassen.

 

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