Artikel, p.s. Zeitung

Die Stadt ist gebaut

Ein Satz macht Geschichte. Ursula Kochs Aussage hat immer schon Anlass zu viel Spekulation und Geschrei gegeben. Aber heute ist er Realität. Früher ging ich davon aus, dass damit gemeint sei, dass die Stadt total verplant ist, bis auf den letzten Quadratzentimeter: Jeder Fleck ist einer Nutzung zugewiesen. Und das durchaus spannende Gedankenexperiment, was wäre, wenn wir keine Bau- und keine Zonenordnung hätten, wenn die Bautätigkeit also nur via Nachfrage und Angebot geregelt würde, führt schnell zur Ernüchterung, weil es die Machtfrage ausklammert. Denn dass das nicht klappt, ist längst klar. Sonst gäbe es ja wohl keine leerstehenden Büroflächen und Luxuswohnungen, die komplett an der Nachfrage vorbei erstellt wurden.

 

Aber nun zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Die Stadt ist nicht nur verplant, sondern tatsächlich auch gebaut. Unbebaute Flächen, die auch weder Frei- oder Grünflächen, See, Wald noch Strassen sind, gibt es kaum mehr, die Brache stirbt aus. Mit einem ebenso erstaunlichen wie erschreckenden Furor macht sich unsere Generation daran, Zürich komplett zuzubauen.

 

Logischerweise übrigens falsch. Denn zwischen Planung und Realität besteht immer ein Ungleichgewicht, sonst wärs ja keine Planung, sondern Hellseherei. Und Planung ist interessengesteuert. Daher kommen darin auch alle unter die Räder, die nicht den mittelständischen, fitten, mobilen und kaufkräftigen Leuten in unserer Stadt zugeordnet werden können: Auszubildende, Alte, Arme und andere A-Menschen, die es natürlich immer noch gibt bei uns.

 

Nur ein Beispiel, meine Lieblingsmilchbubenrechnung (mittlerweile mehrfach bestätigt): Wenn der Kanton seine Verdichtungsorgie durchzieht, die notabene von zahlreichen PlanerInnen jeglicher Couleur gerne geteilt wird, werden rund 8000 zusätzliche Schulkinder in Zürich leben. Das macht, freundlich gerechnet, 25 Schulhäuser aus. In Worten: fünf und zwanzig. Sie bekommen von mir schon einen fetten warmen Händedruck, wenn Sie mir verraten, wo wir fünf Schulen hinstellen sollen. (Und malen Sie sich ja nicht aus, was ich anstelle, wenn Sie auch noch die weiteren 20 platzieren…) Kurz, es geht nicht. Und die paar Altersheime und die Freizeiteinrichtungen und die Freiräume, die es alle auch noch braucht, von denen haben wir noch gar nicht gesprochen. Denn die eigenartige Reduktion des stadtmenschlichen Lebens auf Wohnen, Arbeit und Konsum reicht hinten und vorne nicht. Und wissen Sie, was der Brüller ist? Das wissen alle, die rechnen können. Aber wir reden nicht vom Elefanten, auch wenn er im Raum steht.

 

Daher werden wir wohl radikaleren Zeiten entgegengehen. Wir müssen wieder mehr Vernunft in die Stadtentwicklung bringen. Wir müssen abbrechen und umnutzen. Weg mit einem Bürohaus, wenn es ein Schulhaus braucht! Enteignen wir die Besitzer und reissen wir das Unnötige ab. Sie müssen jetzt nicht aus dem Schuhen kippen: Der Staat macht das, wenn er eine Autobahn oder einen Stadttunnel bauen will, auch. Das ist komplett normal. Und was uns für das Auto recht ist, sollte uns für die Kinder billig sein. Aber wenn wir schon davon reden: Verkleinern wir die Strassenfläche! Wir brauchen Platz für Nötiges, nicht für Luxus, wie im Stau stehen oder parkieren. Die Stadt der Zukunft muss weder grandios dichter sein noch höher gebaut. Sie muss einfach allen Nutzungen Raum bieten, welche die Menschen auch wirklich brauchen. Das geht, wenn man will. Mal sehen, wie sich das mit den neuen Mehrheitsverhältnissen in der Politik umsetzen lässt.

 

Markus Kunz

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email
Artikel, p.s. Zeitung

Ecrasez l’ infame!

Als junger Journalist berichtete ich mal über einen Gewerkschaftskongress zum Thema Datenmissbrauch in den Betrieben. Es standen einem schon vor Jahrzehnten die Haare zu Berge ob all den Geschichten, die da herumgeboten wurden. Denn schon damals produzierte die zunehmend automatisierte Maschinenwelt eine Menge an Daten, die von den Unternehmen erfasst und ausgewertet wurden, wobei der Umstand, dass man damals noch viel weniger als heute vom Datenschutz hielt, schon wilde Verknüpfungen ermöglichte, meist natürlich nicht zum Vorteil des Personals. Etwa, wenn Pausen eingegeben wurden, denn ein Maschinist muss an der Maschine begründen, warum sie nicht läuft, oder wenn das Bier vom Zmittag, in der Firmenmensa mit dem Firmenbadge bezahlt, beim Vorgesetzten zur Kenntnis genommen wird, weil dieser Zugriff auf solche Daten hat, und so weiter. Sie werden jetzt sagen, ach Quatsch, alles Räuberpistolen, der Typ glaubt aber auch alles.

Daran musste ich denken ob der kleinen Szene an der Kasse des Grossverteilers kurz vor Ostern. Ich stand in der Schlange, vor mir eine Angestellte aus derselben Filiale, die noch schnell einen Zvieri kaufen wollte. Die Kollegin hinter der Kasse fragt, hast du keine Dingsbums-Card? Und die andere: Doch, aber die geb ich nie, wenn ich hier einkaufe. Ich habe zu viele wilde Storys gehört.

Und jetzt Sie so: Halleluja, Hundert Jahre wilde Geschichten. Aber im Zeitalter von Google, Facebook und Cambridge Analytica sind wir uns wohl einig: Unsere Fantasie reicht gar nicht, um wildere Geschichten zu erfinden als die Realität sie bietet. Sogar in konservativen Postillen grassiert die Idee, dass man solche Datengiganten zerschlagen sollte. Der Gesetzgeber hinkt, wie so oft, hinterher, und in der verlorenen Zeit werden Fakten geschaffen, die wir lieber gar nicht kennen wollen. Aber kennen sollten.

 

Ich misstraue etwas der Haltung, dass die Leute selber schuld seien, weil sie ja freigebig alles über sich preisgeben. Das stimmt zwar, aber es ist unrealistisch, so etwas zu sagen. Ich selber mache seit jeher gerne den Zuckerberg und werfe einen möglichst kleinen Datenschatten, ohne Smartphone (danke der Nachfrage, ja, ich bekomme genug Prügel), ohne Kreditkarte, ohne Social-Media-Präsenz, aber ich mach mir dennoch keine Illusionen. Und wer etwas jünger ist, dürfte es sehr schwer haben, ein normales Sozialleben zu führen, ohne einen fetten Datenschatten zu werfen, der ja meist noch breiter ist als die eigene Existenz. Denn wenn die Entscheidung lautet: Entweder stimmst du unseren entwürdigenden AGB zu oder dann sei ein Aussenseiter, ist die Freiwilligkeit nicht gerade gross. Wer so etwas mit der typisch scheissliberalen Schlampigkeit der Argumentation behauptet, will bloss die Machtfrage und das immense Machtgefälle zwischen Anbietern und KonsumentInnen verschleiern.

 

Folgen wir darum Voltaires aufklärerischem Kampfruf (auch wenn er damals die Kirche gemeint hat): Zermalmt sie! Zerschlagen wir die quasi absolutistischen Datenkraken, so wie wir das schon hätten mit den Grossbanken tun sollen. Zudem: Das ganze Schlamassel ist ja nur möglich, weil Daten heute eine Ware sind, also einen Wert und einen Preis haben sollten. Geben wir den Daten also einen solchen Preis, indem die Verfügungsgewalt wieder den eigentlichen InhaberInnen, also uns, zugewiesen wird. Und dann sollten wir sie natürlich nicht mehr verschenken, sondern teuer verkaufen, wenn schon. Gratis ist ja nicht mal der Tod, warum also sollen es denn unsere Lebensdaten sein?

 

Markus Kunz

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email
Artikel, p.s. Zeitung

Alle gegen alle

Als ich ein kleiner Junge war, steckten sie mich für sechs Jahre in ein Umerziehungslager. Ok, sie nannten es Volksschule, aber das war reine Gesundbeterei. Denn sie zwangen mich dort zu widernatürlichen Handlungen, etwa zum Schreiben mit der rechten Hand, obschon ich geborener Linkshänder bin, und deshalb funktionierte das auch nicht die Bohne. Ich schreibe das nicht, um mit Gejammer höhere Honorare vom P.S. zu erpressen, (immerhin tippe ich heute perfekt gehirnvernetzt mit einem linken und einem rechten Finger), sondern es geht mir – kühne Überleitung! – um Identität: Denn was die Schule mit ihrer schwarzpädagogischen Aktion vor allem bewirkte war, dass ich zu einer stabilen Identität als Linkshänder fand. Ich betrachtete mich fortan als etwas Besonderes und sog gierig alle Informationen auf, gemäss denen Marie Curie, Jesus oder Dagobert Duck ebenfalls Linkshänder gewesen waren und wir, eine Minderheit von rund 10 Prozent, eindeutig zu den kreativen und, in aller Demut: genialen Mitmenschen zu zählen seien – Balsamico auf meine geschundene Seele! Woraus wir lernen, Identität ergibt sich aus Abgrenzung. (Und das mit Dagobert hab ich übrigens kreativ erfunden – meine Fresse, glaubt doch nicht alles, was in der Zeitung steht.)

 

Hinter der identitären Idee steckt eine jahrhundertealte Geschichte, die zwischen Gleichheit oder Universalität und Differenzierung oder Identität oszilliert. Tönt kompliziert, ist aber so einfach wie links schreiben. Es ist eine Geschichte, die mittlerweile von Links wie von Rechts reklamiert wird, denn Identität kann, plakativ gesagt, sowohl via Klasse als auch via Nation hergestellt werden, um nur die beiden aktuellsten Faktoren aufzuzählen. Universalismus wiederum weist dagegen auf die universellen Menschenrechte hin und ist damit ein Konstrukt der Aufklärung, kann aber auch als Versuch gelesen werden, Identität zu negieren und damit zerstören zu wollen.

 

Die Debatte über solche Fragen läuft, vorab in der Politik, momentan heiss. Ich denke, wir tun uns schwer damit, gerade wenn man an Erscheinungen wie den grossen Donald in den USA denkt (ein Rechtshänder, sorry). Denn einerseits berufen sich auch Linke und Liberale immer noch auf universelle Werte, auch und gerade dort, wo es um das Einstehen für Minderheiten geht, seien es LGBTQ-Menschen oder solche auf der Flucht. Und andererseits kann das leicht zu einem Fokus auf partikuläre Interessen ausarten, was mehrheitlich nicht verstanden wird und etwa im Vorwurf endet, «Minderheiten unterstützt ihr, aber für uns tut ihr nichts». Denn die grossen Herausforderungen, die Big Challenges sind ja zugleich universelle Gefahren, auch wenn sie nicht alle Menschen gleich stark betreffen. Man muss also aufpassen, dass «Diversity» nicht «Solidarität» verdrängt, um das mal gründlich zuzuspitzen. Und man muss aufpassen, dass identitätsbedingte Grenzen nicht als Abschottung gegen alle anderen gezogen werden, so dass in der Folge alle, die sich erlauben, sich in einem solchermassen definierten Raum einzumischen, als übergriffig erklärt werden. Das endet nicht gut, weil sich viel zu einfach ein Zustand einstellen kann, in dem sich alle Gruppen hinter ihren (meinetwegen berechtigten) Anliegen verschanzen und keiner sich um das Ganze kümmert. Auch Politik oszilliert darum zwischen dem Anspruch, Identitäten zu ermöglichen und zu schützen und dem Anspruch, für alle zu reden und einzustehen, unabhängig von ihrer Identität. Darauf gebe ich euch mein schönes Händchen.

 

 

Markus Kunz

 

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email
Artikel, p.s. Zeitung

V wie «Visionen»

Der Vorwurf der Visionslosigkeit ist ein bisschen wie Hundescheisse an der Schuhsohle: unnötig, aber klebrig. Und da Sie ja demnächst die Wahl haben, muss ich eingreifen. Daher fünf Punkte dazu:

 

1. Zürich hat nicht zu wenig, sondern übergenug Visionen, und sie sind praktischerweise alle in der Gemeindeordnung aufgeführt. Manche davon sind sogar noch leise utopisch, aber es ist das Verdienst von Linksgrün, der Utopie einen Topos gegeben zu haben, der Zürich heisst. So etwa bei der 2000-Watt-Stadt (oder kennen Sie etwa eine?), beim Versuch, eine gesunde Durchmischung durch eine sozialverträgliche Wohnbaupolitik zu erhalten, oder bei der kühnen Vision einer dichten und dennoch grünen Stadt, was nur dann ein Widerspruch ist, wenn man keine Ahnung hat. Und wissen Sie, was das Beste an diesen Visionen ist? Sie werden alle von der Bevölkerung getragen, sind also sogar richtige visionäre Projekte.

 

2. Und warum sind sie dann noch nicht umgesetzt? Nun ja, Zürich ist keine Insel. Das Umfeld – Kanton, Bund, Füdlibürgertum – bremst, wo es kann. Egal, ob ein harmloser Cannabisversuch, ob Lohngerechtigkeit, Spurreduktion, Veloschnellweg, Lärmschutz oder ein bisschen weniger Feinstaub – die Bourgeoisie klemmt alle visionären Ideen ab. Ok, nicht alle. Bei Fairness gegenüber Menschen auf der Flucht klemmt Mario Fehr. Umso mehr gilt: Die Bürgerlichen stören sich nicht an unserer Visionslosigkeit, sondern an unseren Visionen.

 

3. Kurz und klar: Nicht jede Furzidee ist eine Vision. Die Digitalisierung etwa ist keine, sondern eine Technologie, vulgo Werkzeug. Technokraten verwechseln das leicht. Wer die Elektrisierung von Zürich als Vision einstuft, kann im Stadtrat grad so gut durch einen Roboter ersetzt werden. Und bei Seilbähnliwahn, Autotunnelhorror oder Elektroautogottesdienst gilt Helmut Schmidt: Wer solche Visionen hat, muss subito zum Arzt. Wikipedia meint dazu: −> Halluzination.

 

4. Verkürzt, aber nicht falsch ausgedrückt: Linke sind visionär, Rechte reaktionär. Die Utopie, die grosse Schwester visionären Denkens, hat traditionell eine tendenziell linke Vergangenheit, denn sie stellt sich gegen das Elend und den Tod. Zugegeben, nicht immer erfolgreich. Aber die Vorgeschichte ist lang und reicht bis zu durchaus konservativen Vertretern wie etwa Thomas Morus zurück («Utopia»). Nur war auch Morus zu seiner Zeit ein widerständiger Geist, was ihn übrigens den Kopf kostete. Wir lernen: Utopie ist Risiko. Und das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass hierzulande seit 1848 von rechts nichts Visionäres mehr kommt, ausser man rechne die eigenartige Sitte dazu, aus einem Sack Kartoffeln einen Bundesrat zu machen. Wahrlich visionäre Ideen aber, wie die AHV, Stimmrechtsalter Null, das Grundeinkommen, die Abschaffung der Armee, die Verstaatlichung des Bodens, Züri autofrei oder die Gründung der Grünen Partei kommen von Herzen, also von links.

 

5. Ok, ich hab gelogen. Es gibt eine rechte Sonderform der Vision: die Horrorvision. Zum Beispiel den libertären Nachtwäch-terstaat, die entfesselte Marktwirtschaft, die totale digitalisierte Überwachung oder die bürgerliche Wende in Zürich. Was uns nahtlos zur Einsicht führt, dass nicht die Vision an sich, sondern die herrschaftsfreie und demokratische Debatte darüber zählt, damit am Ende der Vision auch wirklich das Paradies und nicht der Albtraum steht.

 

So. Und jetzt marsch an die Urne! Sie haben noch 9 Tage Zeit, um Ihre Züri-Visionen in die Realität zu übertragen. Das gilt selbstverständlich auch für Ärzte. Venceremos!

 

Markus Kunz

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email
Artikel, p.s. Zeitung

G&G

Nachdem nun auch die JodlerInnen gemerkt haben, dass sie ohne SRF auf privaten Sendern nur noch dann stattfinden werden, wenn sie Helene Fischer heissen, was vorab bei Schwingern und Sennen nicht gut kommt, mache ich mir um No Billag nicht mehr so grosse Sorgen. Dennoch: Es gibt auch unter uns immer noch zu viele, die ums Verrecken mit dem Feuer spielen und zustimmen wollen. Ihnen sei folgendes gesagt:

 

Klar kenne ich all die Klagen über das miese Programm von ÄssÄrrÄff und dass Glanz und Gloria nicht die Spitze des Schweizer Kulturguts sein dürfe, und ich stimme euch ja aus ganzem Herzen zu, auch wenn ich weiss, dass auf eurem WC die ‹Gala› liegt und ihr statistisch gesehen zwei Stunden pro Tag auf einem Verblödungskanal namens Facebook verbringt, der euch, Facebook hat es eingestanden, unglücklich und depressiv macht. Aber darum geht es ja gar nicht. Sondern es geht um den Service public, und es geht um den nationalen Kulturerhalt, etwa um die Sprachregionen und darum, dass bei Annahme der Initiative nicht nur die RätoromanInnen abstinken können, weil sie zu klein sind, um irgendeinen Privatsender dieser Welt für sich begeistern zu können, sondern dass gleich alle unsere vier Sprachregionen im internationalen Kontext zu klein sind, um medial marktfähig zu sein.

 

Und dann, vor allem, geht es um den Informationsauftrag, und da wird No Billag durch eine Hiobsbotschaft überlagert, welche die ganze Sache nochmals kräftig verschlimmert: Die Schweizerische Depeschenagentur SDA, die letzte verbleibende inländische Nachrichtenagentur, die einst als Selbsthilfe des Schweizer Pressewesens gegründet wurde und im Besitz einheimischer Medienhäuser ist, ist gleich mehrfach in Gefahr. Nicht nur soll sie teilweise ins Ausland verscherbelt werden, wobei die aktuellen Besitzer vorher noch kräftig zulangen und Kapital abziehen. Sondern sie wird auch geschrumpft, weil – Achtung: Irrsinn! – die Besitzer, die gleichzeitig ihre Kunden sind, finden, dass die SDA zu teuer sei und darum die Entschädigungen zurückfahren.

 

Nun wurde gestreikt, aber wir ahnen, dass das nicht viel bringen wird. Und vor allem ahnen wir, dass es verdammt schwierig werden könnte, künftig noch unabhängige und nicht gefakte Informationen zu erhalten. Es gehe bei den Sparmassnahmen und Entlassungen um eine Erhöhung der ‹industriellen Effizienz› der SDA, so liest man. Wie wenn die Recherche, Aufbereitung und Vermittlung von seriöser und, ja: objektiver Nachrichten nicht per se aufwändig und zeitraubend und damit halt auch nicht sehr lukrativ wäre! Auch das also ein Bereich, wo der Markt nichts zu suchen hat, weil er’s weder kann noch will. Man darf die SDA daher ruhig als eine Form des Service public bezeichnen, und die strohdummen und hilflosen Rezepte der No Billag-Initianten oder des Gewerbeverbandes, wie ein privates SRF aussehen könnte, sind keine Lösung, sondern ihre Bankrotterklärung.

 

Fazit: No Billag ist kein Angriff auf die Staatsmedien, sondern ein Angriff auf unseren Verstand und auf unsere Identität, und auch wenn es etwas pathetisch tönt: auf den Kern unseres Staatswesens, die Solidarität. Wir alle bezahlen über Zwangseinnahmen des Staates, vulgo Steuern, Autobahnen und Kampfjets und sonstigen Mist. Denn das ist das Wesen des Staates, dass er sich halt gewisse Dinge leistet, und da ist ein demokratisch kontrolliertes und gemeinsam finanziertes Medienwesen nicht das Dümmste, sondern Glanz und Gloria der Demokratie. Darum: Nein.

 

Markus Kunz

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email
Artikel, p.s. Zeitung

Nachlese: Der Diensthund

Und auf geht’s! Sie haben sich mit guten Vorsätzen für 2018 gestärkt, wir DienerInnen des Volkes im Gemeinderat haben, noch im altem Jahr, die Kohle dafür bewilligt, vulgo Budget. In nämlichem Volke kursiert dazu die gänzlich fälschliche Meinung, dabei gehe es um Geld. Aber das stimmt nicht, es geht vorweg um Leistungen: Mit dem Budget wird dem Staat bewilligt, was er tun darf und was nicht. Wie zum Beispiel Strassen ohne Velowege planen oder die falschen Vorhänge aufhängen in den Schulzimmern. Wir scheuen uns dabei nicht, in die grässlichsten staatlichen Abgründe zu tauchen und – vor allem! – auf Details zu achten, sei es die Lebensdauer eines durchschnittlichen EWZ-Göppels, sei es das Rätsel, was der gemeine Diensthund bei der Stadtpolizei eigentlich so alles frisst. Dazu muss man zuerst mal Fragen stellen wie folgt:

 

«Die Trockenfutter-Monatspackung von Pedigree (Spezialmischung für Deutsche Schäferhunde) kostet Fr. 42.- (https://shop.fressnapf.ch/de/adult-deutscher-schaefer-15kg.html), und bei einer Ernährung mit Feuchtfutter sind bei Pedigree mit Kosten von rund 80 Franken zu rechnen. Ist es demnach möglich, dass Polizisten für das Futter (sowie die Abschreibung des Hundegitters, deren monatliche Kosten im tiefen zweistelligen Bereich liegen dürfte) bloss um die Fr. 100.- ausgeben, jedoch eine Pauschale von Fr. 500.- erhalten?» – Ja, so fragen wir uns alle bange, ist das wirklich menschenmöglich? Die Antwort lautet (und ich schwör bei allen heulenden Höllenhunden, ich hab kein einziges Wort erfunden):

 

«Die tatsächlichen Kosten für einen Diensthund gehen weit über den Aufwand für das tägliche Futter hinaus. Bei der Aus- und Weiterbildung wird der Diensthund u.a. mit Futter für seine Erfolge und Lernfortschritte belohnt. Weitere Futterrationen dienen der eigenen Beschäftigung und Zahnreinigung. Des Weiteren kann ein Arbeitshund, wie es der Diensthund darstellt, mit 15 kg Futter nicht genügend ernährt werden. Die Futtermenge wird durch verschiedene Faktoren bestimmt, wie zum Beispiel Bewegung (Leistung), Grösse (Gewicht) und die individuelle Futter-Verwertungseffizienz. Bei den Verpackungsangaben der Futterhersteller handelt es sich um Richtwerte von gegenüber Diensthunden wenig geforderten privaten Durchschnittshunden. […]

 

Weitere Kosten fallen auch für den erhöhten und regelmässigen Reinigungsbedarf des Privatfahrzeuges an, das der/die Hundeführer/in im Auftrage der Arbeitgeberin für den Arbeitsweg, die Hundeaus- und -weiterbildung sowie teilweise für die Ernstfalleinsätze verwenden müssen. Da die Hundeübungen zu jeder Jahreszeit und meistens auf dem Feld absolviert werden, sind Fahrzeuge, Hundeboxen, Trainings- und Einsatzmaterial sowie der Diensthund selber einer viel höheren Verschmutzung ausgesetzt, als es bei einem privat gehaltenen Hund der Fall ist. […]

 

Nicht zu vernachlässigen sind die aus der Abnutzung der Hundeboxen resultierenden Kosten sowie der Umstand, dass diese bei einem Fahrzeugwechsel oftmals ersetzt werden müssen, da sie nicht mehr ins neue Fahrzeug passen oder weil ein Nachfolgediensthund (Zweithund) angeschafft wird und folglich die Einzelbox durch eine grössere Boxkonstruktion ersetzt werden muss. […]»

So geht das mit dem Budget. Und weil uns die Antwort komplett überzeugt hat, haben wir das Futter für den Erst-, den Zweit-, den Nachfolge-, den Durchschnitts- und den Arbeitshund bewilligt. Mitsamt den restlichen rund 8800 Millionen Franken für alle anderen Zwei-bis-Vierbeiner. Denn Zürihünd sind Fründ. Peace!

 

Markus Kunz

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email
Artikel, p.s. Zeitung

Ist Hotzenplotz Schweizer?

Zum Jahresschluss doch noch etwas Biss! Die Nationalität bei Tatverdächtigen – es gilt, ausser bei Männern mit Bart, die Unschuldsvermutung – wird von der Stapo nicht mehr automatisch genannt. Gut so. Es folgte lautes Aufjaulen im ‹Blick›, gefolgt vom ‹Tagi›, der den Hals kurz darauf wendet und lauter zustimmende Texte abdruckt. Da musste die NZZ natürlich auftrumpfen und publizierte eine Woche später ein Interview mit dem obersten Wachmeister Dimpfelmoser, vulgo Hans-Jürg Käser, Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren. Da lohnt sich die genaue Lektüre.

 

Denn bis anhin haben die glühenden Verteidiger von Nationalismus in Polizeiberichten immer gekniffen, wenn es um die Frage ging, worin eigentlich der Mehrwert der Nationalitätennennung besteht. «Transparenz» schien ein Selbstzweck. Auch Käser, dessen eigene Kapo Bern notabene keine Nationalität nennt, kneift zuerst, aber die NZZ-Journis haken nach, mit Erfolg: Am Beispiel eines afrikanischen Tatverdächtigen nennt Käser «mentalitätsmässige Unterschiede» als Ursache für kriminelles Handeln: «Überdurchschnittlich viele Menschen, die aus dieser Region kommen, halten sich nicht an die Regeln. Natürlich sind die Gründe dafür von Fall zu Fall unterschiedlich. Sie sind nicht nur auf die Herkunft, sondern auch auf die persönliche Situation zurückzuführen.» Aha. Was jetzt? Herkunft oder Zukunft? Und wie genau muss man sich das eigentlich vorstellen? Die aus Afrika sind alle so blöd, dass sie nicht merken, dass in der Schweiz unter Umständen «andere Regeln» gelten als im Busch? Und was hat dieses geradezu klassisch rassistische Vorurteil mit der Nationalität zu tun? Da passen die verbalen Ausrutscher gegen Farbige, die sich Käser in jüngster Vergangenheit offenbar geleistet haben soll, prima ins Körbchen.

 

Auch beim Genderthema nur dünnes Eis. Es ist ja schampar rücksichtsvoll, wenn Käser, politisch überkorrekt, von «Menschen» spricht. Tatsache ist aber, dass zu 85 Prozent Männer delinquieren. Dass damit Nationen mit einem hohen Männeranteil unter den Migranten statistisch einen grösseren Anteil an Tatverdächtigen aufweisen könnten, verwundert nicht. Die wichtigsten Variablen in der Kriminalstatistik sind, in absteigender Reihenfolge: das Geschlecht, das Alter, der sozioökonomische Status und das Bildungsniveau. Wenn ich hierzu den Verein Vivre Ensemble zitieren darf: «Die Wahrscheinlichkeit, dass ein junger, mittelloser Schweizer ohne Bildung ein Verbrechen begeht, ist ebenso hoch wie bei einem Ausländer mit den gleichen Voraussetzungen.» Schon komisch, dass der oberste Tschugger sowas nicht weiss.

 

Gegen Unwissen hilft Treudoofheit. Auf die Frage der NZZ: «Aber trifft es nicht zu, dass die Nennung von Nationalitäten in Polizeimeldungen Ressentiments gegen Ausländer verstärkt?», folgt zuerst ein fröhliches «Weshalb denn?» Ähm, Dimpfelmoser: Vielleicht, weil viele braune Dumpfbacken ähnlich verkürzt denken wie Sie? Die Nationalität sei wichtig, so Käser, weil man sonst keine «Schlussfolgerungen» ziehen könne. Was für welche, darüber lässt er uns im Ungewissen. Was vielleicht besser so ist. Immerhin, FDP-Mitglied Käser warnt zum Schluss davor, dass die Leute nur noch mehr SVPler wählen, «die diese Thematik aktiv bewirtschaften», wenn der Wolff weiterhin so blöd tut. Ob das schlimmer ist als FDPler wählen, die diese Thematik passiv-aggressiv bewirtschaften, bleibe dahingestellt.

 

Frohes Adventsshopping! Passen Sie auf Taschendiebe auf! Die halten sich nämlich an gar keine Regeln.

 

Markus Kunz

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email
Artikel, p.s. Zeitung

Massenumerziehung

Man muss die Würste grillen, wenn sie prall sind. Die Gelegenheit dazu kommt mit der städtischen Volksinitiative zur gesunden Ernährung bzw. ihrem weichgekochten Gegenvorschlag. Die Tatsache, dass die InitiantInnen happige Konzessionen gemacht haben, um immerhin noch einen Teil ihrer Anliegen retten zu können, muss natürlich gar nicht heissen, dass der wurstige Wutbürger bzw. die wütende Wurstbürgerin nicht dennoch kräftig vom Leder ziehen können, um im Bild zu bleiben. Und so hat das Rechtsbürgertum den Abstimmungsmampf mit einer beherzten Tat eröffnet: Inmitten einer Stadt, die schon beinahe jedes Rabättli in eine Anbauschlacht umgepflügt hat und in der die VeganerInnen grölend durch die Strassen ziehen und reihenweise Mensen abfackeln, die Adrio im Menu 1 führen, isst die Rechte auf- und senkrecht öffentlich Wurst! Wo Vegis vornehme Zurückhaltung üben («Ich esse nichts, wo schon ein Rindli durchgefurzt hat»), beissen andere unverdrossen in den gefüllten Darm. Denn wie hiess es früher? «Jeder Zwecklos ist Widerstand.»

 

Aber so ganz zwecklos ist das bitteschön nicht, denn es geht um mehr: Um Erziehung. Reden wir Klartext: Das muss jetzt endlich mal aufhören, diese Gehirnwäsche, Gängelung und An-den-Ohren-Ziehen der Bevölkerung durch Spinatkuschler, Klimafetischisten und Kunstledersandalenträgerinnen. Der Zwang, die Welt zu retten, ist ein falscher Ansatz, die Welt will das nicht. Der Klimawandel mag zwar Tatsache sein, aber ob er uns schaden will, ist erst dann bewiesen, wenn er eingetreten ist, und das wird erstens nicht heute sein, und zweitens, wenn doch, dann immerhin überrascht er uns nicht mit leerem Magen. Der Fleisch- und Milchkonsum mag klimaschädigender und umweltzerstörender sein als der weltweite Verkehr, aber was geht mich das an, ich mag beides.

 

Die Abstimmungsvorlage umfasst einen winzigen Zusatz in der Gemeindeordnung, nämlich «die Förderung der umweltschonenden Ernährung und die Information über den Einfluss der Ernährung auf das globale Klima». Aber weil sich alle Rechten immer buchstabengetreu an die Gemeindeordnung halten, muss man komischen Formulierungen darin vorbeugen, das macht Sinn. Was diese Linksvegis mit Förderung meinen, ist ja klar: Zwangsernährung. Und in diesem Lichte gesehen ist es auch richtig, sich gegen Information zu wehren, denn Information, das weiss ja jede, ist der Anfang und Auftakt zur Massenumerziehung. Wenn Menu 2 vegetarisch und Menu 3 vegan sind, dann haben wir den Salat. Menu 1 ist dann ungeniessbar, denn was will ich dasitzen, meinen Fleischvogel vor und lauter umerzogene Kohlfresser neben mir, die schmatzend Ballaststoffe emittieren? Eben. Und beim Aufstossen grüsst der Broccoli.

 

Die VegetarierInnen machen zwar nur etwa ein Zehntel der Bevölkerung aus, aber gopfridli, wie die einen umerziehen, das ist schon der Gipfel. Fleisch essen ist das neue Rauchen. Und schon hüpfen die Grossverteiler auf den Karren drauf und eröffnen Läden nur für Vegis. Der Markt erzieht voll mit, der schreckt vor gar nichts zurück. Das tut er doch sonst nie! Dabei ist es evolutionsbiologisch erwiesen, dass wir nur so klug geworden sind, weil unsere Vorfahren Fleisch gegessen haben und ihr Gehirn dadurch stärker gewachsen ist als beim Orang Utan. Boah, tut das gut zu wissen, wenn man draussen in der Saukälte am Wahlkampfstart steht, Ketschöp an den Fingern, Wurstpapier an den Schuhen und umgeben von lauter standhaften und unerzogenen Menschen. Scheiss auf den Dickdarmkrebs.

 

Markus Kunz

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email
Artikel, p.s. Zeitung

E-Quatsch

Als ich in die Politik einstieg, nahm ich mir eigentlich vor, nicht auf jeden sauren Görps zu reagieren, meiner Psychohygiene zuliebe und weil’s Zeitverschwendung ist. Aber dann kamen die Fake-News und die Elektromobilität (und eine diesbezüglich leicht durchgeknallte grüne Zürcher Nationalratsdelegation). Und daher muss ich nun mal was klarstellen.

 

E-Mobilität ist nicht die Lösung, sie ist die Perfektionierung und Verlängerung des Problems. Schon heute sind Elektroautos keineswegs ökologischer als die guten alten Dreckschleudern von der Benzin- und Dieselfront. Vor allem müssten sie, um eine positive – Ha! Reingelegt! Es muss natürlich heissen: weniger negative – Umweltwirkung zu haben, ja auch wirklich fossile Fahrzeuge ersetzen. Da dies heute aber nicht der Fall ist, sondern weil man sich einfach noch ein schickes Zweitauto mit Hybrid- oder E-Motor leistet, vergrössern sie nur die Verkehrsmenge und reduzieren damit die Mobilität. Das nennt man Reboundeffekt, hat mit technologischem Fortschritt rein gar nichts zu tun, aber viel mit Steinzeitverhalten.

 

Elektroautos haben in der Regel auch einen grossen Fussabdruck, weil sie mit dem europäischen Strommix fahren, der einen Anteil Kohlestrom enthält. Im schlimmsten Fall können sie über die ganze Lebensdauer sogar einen grösseren Fussabdruck aufweisen als Fossilautos. Aber selbst wenn wir das mit dem Strommix in Zukunft lösen – und davon sind wir, Energiewende hin oder her, so weit entfernt wie die Frauen von gleichen Löhnen –, bleibt ein massives Ressourcenproblem. Denn nebst dem herkömmlichen Materialaufwand bei der Fahrzeugproduktion kommt neu die Batterie hinzu, und die enthält nicht nur massenhaft graue (also: Herstellungs)Energie, sondern sie ist auch stofflich alles andere als gelöst. Insbesondere die Verfügbarkeit von Lithium ist ein erhebliches Problem und hat das Potenzial, Blutdiamanten oder Palmöl als soziale Skandale nahtlos abzulösen. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung kam schon 2010 zum Schluss, dass wir, bevor wir nun einmal mehr eine neue Seite im dicken Buch der Ausbeuterei aufschlagen, zuerst funktionierende Recycling-Infrastrukturen aufbauen sollten. Kommt hinzu, dass die Batterieproduktion gewaltige Strommengen verbrötelt und erhebliche Mengen an CO2-Emissionen verursacht, wenn man das auf die gesamte Lebensdauer anschaut. Auch Elektroautos haben also einen Auspuff. Sie sehen ihn nur nicht.

 

Ich bin noch nicht fertig. Wenn all das gelöst ist – richtig gelesen: wenn falls! –, dann haben wir immer noch die ganz ‹normalen› Mobilitätsprobleme, auch mit Elektroautos: Platzverschwendung, Zersiedelung, Unfälle, Verkehrstote.

 

Das einzige Problem, das mit Elektroautos scheinbar gelöst wird, ist der Lärm. Dafür tut sich hier ein neues auf, denn E-Autos sind derart leise, dass sie eine Gefahr auf der Strasse darstellen. Vermutlich werden wir das mit einem Lautsprecher lösen, der gesampelte Fahrgeräusche eines Benziners ohne Auspuff wiedergibt, damit die Leute nicht einfach auf die Fahrbahn latschen…

 

In Summa: Elektroautos sind im klassischen Sinne nicht nachhaltig, weil sie nur ein Problem durch ein anderes ersetzen. Die Einführung von Elektroautos lenkt ab vom eigentlichen Thema, nämlich, dass wir falsche Mobilitätskonzepte haben, vorab in den Städten. Das gut Gemeinte ist auch hier der Feind des Besseren. Daher: Wir brauchen Lösungen, keine Nebelpetarden, keine Pseudofortschritte. Und schon gar keine Bubenspielzeuge.

 

Markus Kunz

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email
Artikel, p.s. Zeitung

Der Fall Fricker

Es ist schon ein gutes Dutzend Jahre her, als ich als Leiter des Instituts für Nachhaltige Entwicklung an der Fachhochschule in Winterthur eine Anfrage eines gewissen Jonas Fricker bekam. Er hatte sein ETH-Studium abgeschlossen mit einer Arbeit über ein Kommunalentwicklungsprojekt, das er nun gerne fortgesetzt hätte.

 

Er war beim RAV in Baden gemeldet, also nahm ich dort Kontakt auf und erreichte, dass ich Jonas als Praktikanten anstellen konnte. Schnell gelang es ihm, für sein Projekt eine finanzielle Unterstützung der Kommission für Technologie und Innovation, heute Innosuisse, zu erwirken. Ich konnte ihn als Assistenten anstellen und gab ihm die Projektleitung, was etwas unüblich war, aber in seinem Fall kein Risiko. Wenig später wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter. Sein Projekt schloss er mit Bravour ab, es galt bei der KTI als Leuchtturmprojekt. Daneben wirkte er an weiteren Forschungsprojekten zum Thema Stadt- und Regionalentwicklung mit, zusammen mit Leuten wie zum Beispiel Richard Wolff oder Katharina Prelicz-Huber, beides nicht ganz Unbekannte in Zürich.

 

Womit wir bei der Politik sind. Jonas war politisch tätig, immer auch in den Parteigremien, aber auch als kommunaler und kantonaler Parlamentarier. Er hat viel geleistet – und er war seiner Sache immer gewachsen. Kein Haudegen, kein Extremist, klar grün. Und jetzt hat er richtig Mist gebaut mit seinem Vergleich, der gewaltig missverstanden werden will, aber das eben auch zulässt. Sein Rücktritt aus dem Nationalrat ist zwar nachvollziehbar, aber er macht mich wütend. Nicht nur, weil 99 andere an seiner Stelle nicht zurückgetreten wären, sondern im Gegenteil vermutlich sogar noch verbal einen draufgesetzt hätten. Sondern auch, weil wir es hier – jenseits von seinem ‹Vergehen› – mit einem Auswuchs einer politischen Praxis zu tun haben, die immer mehr davon lebt, dass die schnelle, geile Schlagzeile mehr wert ist als jahrelange Arbeit, dass das Wüten wichtiger ist als die Kompetenz. Wir haben es mit einer Verluderung der Politik zu tun, und niemand scheint sich dieser weder entziehen zu können noch zu wollen.

 

Es ist komplett unnötig, über Jonas’ Gesinnung zu spekulieren. Er ist kein Antisemit, kein heimlicher oder unheimlicher Anhänger menschenverachtender Haltungen, er ist kein Relativist und Verharmloser, und nie war er ein Sympathisant verschiedener braun angehauchter Tendenzen in der Ökologiebewegung, das kann ich aus langjähriger Zusammenarbeit bezeugen. Es ist daneben, ausgerechnet an ihm ein Exempel statuieren zu wollen, es ist widersinnig, an seinem Votum durchdeklinieren zu wollen, was ein anständiger Grüner oder was die anständige Linke denkt. Selbstverständlich verurteilen wir alle den Holocaust, ebenso wie niemand von uns, auch die BratwurstliebhaberInnen nicht, Tierquälerei wollen, auch wenn das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Die von allen Seiten geäusserte Selbstgerechtigkeit ist zum Kotzen.

 

Zudem gefährlich. Es brauchte nur einen Satz, notabene im Zusammenhang mit Ernährung, und schon geht die Antisemitismusdebatte los. Jahrelang haben die Rechtsbürgerlichen uns ihre widerliche Agenda diktiert, mit Minaretten, Burkas, Asylschikanen etcetera: das scheint normal zu sein, so sind sie halt. Aber kaum vergreift sich ein Grüner im Ton, entdecken plötzlich alle ihr Sensibilität. Politische Wertedebatten gehen anders.

 

Jonas hat die Konsequenzen gezogen. Die Hysterie um sein Votum zeigt aber, dass wir weit von einer irgendwie gearteten ‹Normalität› entfernt sind.

 

Powered by WPeMatico

Facebook Twitter Email