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Standortbestimmung

Auch ich habe nach den Kantonswahlen eine Standortbestimmung durchgeführt. Das war gar nicht so einfach, weil ich grad das Gefühl habe, dass mir der Standort allerorten wegrutscht. Stand zu fassen ist schwierig, egal, ob man die GLP und die FDP wirtschaftspolitisch auseinander halten kann. Nehmen wir zum Beispiel die Energiepolitik: Nachdem endlich alle eingesehen haben, dass wir nicht mehr Milliarden für fossilen Dreck ins Ausland schaufeln, sondern uns einheimisch und erneuerbar versorgen sollten, was gut für die Umwelt, die Versorgungssicherheit, die Wirtschaft und fürs nationale Gemüt wäre, wird das von Ölbert Rösti und Konsorten flugs in eine Aktion «Au fein, hauen wir ein paar Naturschutzgebiete in die Pfanne!» umfunktioniert. Und schon ist man in der Defensive («so haben wir das nicht gemeint») und findet sich im falschen Lager wieder, zusammen mit denen, die Windrädli schon immer daneben fanden.

Dasselbe beim Militär. Dass wir die Ukraine unterstützen müssen, ist komplett unbestritten. Aber dass dies subito dazu benutzt wird, eine Rüstungs- und eine Neutralitätsdebatte anzureissen, aber nicht fertig zu debattieren, obschon beide, um im Jargon zu bleiben, heikle Minenfelder sind, die man lieber nicht unter Stress abhandeln sollte, ist nicht hilfreich. Wem es wirklich um Hilfe geht, der könnte sich meinem Vorschlag anschliessen, unser Armeebudget ein, zwei Jahre der Ukraine zu überweisen, zur freien Verfügung. Das ist neutralitätspolitisch neutral, denn wir schanzen ja den Russen mit dem Öl- und Gashandel, der über Firmen in Zug und Genf läuft, ebenfalls Milliardenerträge zu. Unsere Armee wird dafür solange aufs Eis gelegt, denn die Demokratie wird bekanntlich heuer in der Ukraine verteidigt. Dass notabene unser ungebrauchtes Gaskraftwerk, das eine halbe Milliarde Franken gekostet hat, in Birr unnötig, aber in der Ukraine dringend nötig ist, wurde auch schon erwähnt.

Oder dann die Altersvorsorge. Nachdem sich jetzt alle einig sind, dass die 2. Säule nicht funktioniert, weder bei den zu erzielenden Renditen noch bei den Verwaltungskosten noch bei den Tieflöhnerinnen noch bei den Teilzeitarbeitenden, werden nur noch alte Reflexe bedient, die da sind: länger arbeiten und tiefere Renten auszahlen. Die Frauen werden mit dem aktuellen Vorschlag der bürgerlichen Parlamentsmehrheit einmal mehr verarscht – vom verweigerten AHV-Teuerungsausgleich wollen wir gar nicht reden –, und der Elefant im Raum wird weiterhin ignoriert. Nämlich, dass es eine neue Einnahmequelle braucht, egal ob eine Erbschaftssteuer 2.0, (die fairste, liberalste und naheliegendste Lösung), eine Finanztransaktionssteuer oder was auch immer. Man will nicht einmal darüber diskutieren. Denkverweigerung wo man hinguckt. Aber die wahre Front verläuft nicht zwischen Mann und Frau oder zwischen Jung und Alt, sondern immer noch zwischen Arm und Reich. Und wer das systemfremd findet, weil die 2. Säule schliesslich keine Solidar-Kuschel-Institution sei, der kann sich ja der Idee anschliessen, sie aufzulösen und die AHV damit zu alimentieren. Ich hab immer noch kein schlüssiges Argument dagegen gehört.

Mir schwirrt der Kopf. Dass akute Krisen dazu instrumentalisiert werden, um sein eigenes Süppchen darauf zu kochen, damit muss man in der Politik immer rechnen, das mach ich ja auch. Aber irgendwelche pervertierten Ideen, siehe Beispiele oben, erpresserisch als Lösung zu bezeichnen, ist miese Küche. Nicht alles kann als «Standortbestimmung» gerechtfertigt werden.

 

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Lob dem Verbot

Einer muss es ja mal tun. Warum nicht ich. Nachdem inmitten der angehenden Kämpfe dieses Wahljahrs der Neoliberalismus wieder sein schon unangenehm verwestes Haupt erhebt und ächzt, «Eigenverantwortung und Anreize, mehr Freiheit statt Verbote», was viele inhaltsleere Wörtli sind, die auch in einer Reihe keinen Sinn ergeben, muss man mal was klarstellen: Mehr Verbote wären gut für uns alle und würden unsere Gesellschaft entscheidend voranbringen. Im Einzelnen:

 

Wie Philipp Lepenies in seinem lesenswerten Büchlein über «Verbot und Verzicht» nachweist, hat der Neoliberalismus auch bei den Linken gesiegt: Indem er es geschafft hat, das Narrativ in unseren Köpfen und Seelen zu verankern, dass staatliche Verbote quasi widernatürlich oder satanisch, auf jeden Fall unfreiheitlich seien. «Verbot» ist definitiv negativ konnotiert, mit dem Wort kann man Kinder und WählerInnen erschrecken. Währenddem kein Mensch meckert, wenn ihn Google, Elon Musk oder ein anderer soziopathischer Milliardär nach Belieben gängelt, sind staatliche Verbote das scheinbar Schlimmste, was einem passieren kann. Höchste Zeit zu beweisen, dass das blühender Quatsch ist. Alsdann:

 

1. Verbote sind demokratisch. Wenn Sie ernsthaft glauben, der Staat könne einfach so ein Verbot verhängen, haben Sie den Staatskundeunterricht aber gewaltig geschwänzt. Öffentliches Recht ist immer an eine demokratische Legitimation gebunden: Jedes Verbot muss von einer Mehrheit abgesegnet werden. Das nennt man Rechtsstaat. Der Staat muss eine Gesetzesgrundlage haben, wenn er handelt. 2. Verbote sind effektiv, da sie für alle gelten. Anreize tun das nicht, sie können von reichen Säcken mühelos übersteuert werden. 3. Verbote sind damit auch maximal gerecht. Punkt. Anreize schaffen immer Ungleichheit. Punkt. 4. Damit ist auch klar: Verbote geben Rechtssicherheit. Kein anderes Mittel kann das. Das wusste schon Gott mit seinen zehn Geboten. 5. Verbote sind effizient, weil deren Umsetzung einfach ist. Meist haben wir bereits die dafür nötige Infrastruktur. 6. Daraus folgend: Verbote sind billig. Es braucht keine Bürokratie, keine komplizierten Mechanismen. Ein Gesetz, ein paar Tafeln – und hopp! 7. Verbote bewirken Routine. Routine ist gut, sie entlastet uns, man muss kein Studium absolvieren, um den Alltag zu bewältigen. 8. Verbote senken dadurch die kognitiven Kosten, wir müssen nicht andauernd sinnieren, was wir tun sollen. Der Kopf wird frei.

 

Soweit so überzeugend. Aber nun werden Sie vielleicht einwenden, zu viele Verbote täten unsere Freiheit einschränken. Ich weiss ja nicht, wo Sie das wieder her haben, wohl aus dem neoliberalen Giftschrank, aber es ist ideologischer Gugus. Verbote haben die Kraft zum Gegenteil: Ein Autoverbot in der Innenstadt gibt allen anderen VerkehrsteilnehmerInnen mehr Freiheit. Ein Rauchverbot lässt alle AsthmatikerInnen aufschnaufen. Ein Flugverbot könnte schon einen ansehnlichen Teil des Klimas retten. Ein Verbot, seine Kinder windelweich zu prügeln,… ok, Sie habens begriffen. Alles eine Frage der Perspektive. Des Interesses. Also alles eine politische Frage.

 

Umso mehr sollten Sie sich von der neoliberalen Staatsverachtung verabschieden. Die modernen Herausforderungen, das sehen immer mehr PolitikerInnen von rechts bis links ein, können nur mit Verboten oder Geboten gemeistert werden. Eigenverantwortung und Anreiz funktionieren ganz einfach nicht (ausser natürlich als Ausreden). Werdet erwachsen.

 

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Schlange stehen

Auch über die Festtage standen sie in der Schlange, um Essen abzuholen. Tausend Menschen jede Woche sollen es an der Langstrasse sein, rund tausend sind es an den Abgabestellen vom Tischlein-Deck-Dich, und wohl nochmals so viele an anderen Hilfsstellen der Zivilgesellschaft: Anstehen in Schneeregen und Kälte für Essen, in der reichsten Stadt des reichsten Landes der Welt.

 

Mag sein, dass sich die bitterste Armut weltweit vermindert hat. Will heissen, die Anzahl derer, die nun von ein paar statt nur von einem Dollar pro Tag leben können. Hurra. Im Gegenzug hat die Armut in Europa zugenommen, nur heisst sie nicht mehr so, sondern sie heisst Prekariat . Bis ein Viertel – manche Quellen sprechen von einem Drittel – aller Menschen in Europa leben prekär, sie haben zwar oft Arbeit, sie reissen sich sogar oft richtiggehend den Arsch auf, aber es reicht nicht. Working poor. Unsichere oder temporäre Stellen, knappe Bezahlung, kaum Sozialleistungen. Leistung lohnt sich nicht für sie.

 

Ein Freund von mir fragte mich einmal, wa­rum wir die Armut zumindest in der reichsten Stadt des reichsten Landes der Welt nicht einfach abschaffen. Die Frage treibt mich immer noch um. Ich kenne die Antwort (Sie übrigens auch, aber wir hören sie alle nur ungern). Denn die Armutsursachen sind ja kein Geheimnis: Geschlecht, Alter (ja, das hat einen Zusammenhang), Kinder, Bildungsmangel, Krankheit, usw. Und viele der Ursachen sind Teufelskreise, man kommt kaum mehr daraus hinaus. Die Abhilfen wären in diesem Sinne einfach: Ein Mindestlohn zum Leben, Lohngleichheit, existenzsichernde AHV, Stipendien für Erwachsene, Prämienverbilligungen usw. Alles alter Kaffee. Vieles davon politisch gescheitert. Denn die Antwort auf die Frage, warum wir Armut nicht einfach ausrotten ist, dass sie politisch gewollt ist. Bürgerliche Politik tut alles, um Armut, und damit verbunden die zunehmende Ungleichheit, zu erhalten. Das Volk zieht leider mit und versenkt zahme Vorlagen wie etwa damals die 1:12-Initiative. (Im Ernst, das war ein gemässigter Vorschlag, die Kantonale Verwaltung Zürich, nur so zum Beispiel, weist eine Lohnspanne von etwa 1:6 auf, das wäre ja dann schon fast Kommunismus…)

 

Hier liegt eine politische Zeitbombe. Denn das Geld wäre ja da. Einkommen und Vermögen aus dem Finanzkapital übersteigen das Bruttoinlandprodukt (als Gradmesser für die Erwerbsarbeit) schon lange. Das Geld arbeitet erfolgreicher als die meisten Menschen. Man bräuchte die Gewinne nur abzuschöpfen. Die Ungleichheit, vorab bei den Vermögen, nimmt grotesk zu, auch in der Pandemie. Aber solange die bürgerlichen Stimmen, welche «Zuwanderung», «Politik» und «den Staat» als Schuldige für das Prekariat anprangern, mehr Gehör finden als die wahren Gründe, dann wird das politisch hoch heikel. Solange es uns nicht gelingt, den prekarisierten Mittelstand abzuholen und ihm klarzumachen, dass zum Beispiel tiefe Löhne nicht «der Politik», sondern schlicht dem Arbeitgeber zu verdanken sind, sind wir in der Defensive.

 

Und es wird noch schlimmer. Wir haben drei weitere Gründe für Preissteigerungen im Alltag: Dekarbonisierung, Deglobalisierung und Demografie. Alles gewollt bzw. hausgemacht, aber eben nicht gratis. Eine Umverteilung der Mittel, um diese Herausforderungen anzugehen, ohne dass einmal mehr der Mittelstand bluten muss, ist existenziell. Aber dazu braucht es andere Mehrheiten in diesem Land. – Moment! Zum Glück ist ja Wahljahr!

 

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Peace!

Besinnliche Geschichte in besinnlicher Zeit. Und darum muss ich Ihnen nun endlich mal erzählen, wie ich einem Mann der Kirche beinahe eine reingehauen hätte. Und das kam so: Als Fraktionspräsident, der ich damals war, bekommt man so manche Einladung. So auch zur Vereidigung von frischen StadtpolizistInnen im St. Peter. (Warum ausgerechnet in einer Kirche, fragen Sie? – Gute Frage.) Und da ich ein Flair für Subkulturen habe, nutzte ich die Gelegenheit für einen Einblick in diese sagenumwobene Welt. Ich bekam unerwartet einen Platz in der ersten Reihe, zwischen dem Kollegen vom stolzen Freisinn und dem Grossmünsterpfarrer, denn merke: An solchen Anlässen herrscht noch eine mittelalterliche Ordnung, will heissen, alle Stände sind vertreten. Wie Frau Meloni sagen würde: Gott, Vaterland, Familie.

Noch leicht schwindlig ob so viel Ehre fiel mir plötzlich und mit Befremden auf, dass fast alle ausser mir bewaffnet waren. Fette Knarren an allen Hüften, Ehrendolche, die geschwenkt wurden, man hätte meinen können, es sei Waffenmesse und nicht eine Feier in einem Sakralbau. – Ich muss hierzu etwas klarstellen: Meine Äquidistanz zur Institution Kirche ist, obschon ich vor rund 40 Jahren Redaktor beim Zürcher Kirchenboten war, denkbar gross. Aber man muss gewiss nicht fromm sein, um die Symbolik von Waffen in einer Kirche pervers zu finden. Kirchen sind Zufluchtsorte, auch heute noch, wie etwa die Schutzsuche von AsylbewerberInnen vor gut zehn Jahren in der Predigerkirche beweist. Verfolger (auch polizeiliche) haben dort keinen Zutritt. Man nennt das Kirchen- oder Heiligtumsasyl, und das kennen und respektieren nahezu alle Kulturen. Waffen sind in Kirchen daher so angebracht wie ein Furz im Lift.

Die Zeremonie war ein bisschen langweilig und ein bisschen peinlich, aber was willst du: Subkulturen sind, wie sie sind. Danach ging’s auf den Kirchenhof zum Smalltalk, und da der Herr Pfarrer grad etwas verloren in der Gegend herum stand, ging ich zu ihm hin und sprach ihn auf das Thema an, in der Annahme, dass ich da einen Bruder im Geiste finden würde. – Weit gefehlt. Auf mein pazifistisches Gejammer hin fräste er mir quer übers Maul: Erstens sei ich da an den Falschen geraten, da alter Feldgeistlicher, zweitens sei auch Zwingli durchs Schwert gestorben (weshalb die alte Kriegsgurgel heute noch mit einem Zweihänder hinter der Wasserkirche steht), und drittens, Matthäus 10,34, sei auch unser Herr Jesus nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Ich musste kurz leer schlucken, aber dann kam der Geist über mich und wir begannen zu streiten, ich mit Argumenten, er mit god on his side, aber es war doch eher brotlos. Und so ganz nadisna wuchs in mir der dringliche, ich würd’ mal sagen: alttestamentarische Wunsch, die Debatte mit ein paar herzhaften Ohrfeigen zu beenden.

Ich muss hierzu etwas klarstellen: Ich bin ein mordsmässig friedliches Wesen. Meine letzte Prügelei war zu Pausenplatzzeiten. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass man den Menschen die eigene Medizin zu schlucken geben soll, weil sie da am besten wirkt. Wie hätte ich seinem Standpunkt mehr Respekt zollen können als durch die kurzzeitige schlagkräftige Übernahme seiner Argumente? Eben. – Ich hab’s dann natürlich nicht getan. Er hatte mehr Kampfgewicht, und er sah zudem nicht danach aus, als ob er auch noch die andere Backe hinhalten würde. So trollte ich mich und erinnerte mich daran, dass bekanntlich noch keine Waffe auf dieser Welt auch nur eine einzige Person getötet hat. Es waren immer die Menschen dahinter, gell? Darum: Friede auf Erden, und kommen Sie gut ins neue Jahr!

 

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Nieder mit Verzicht!

Man liest in diesen Tagen derart viel übers Verzichten, dass es einen kalt über den mit drei Pullovern bedeckten Rücken läuft. Zum Ausgleich hier mal eine gute Nachricht: 98 Prozent davon sind Quatsch. Es folgt die Wahrheit. 

 

Im Ernst: Ich halte nicht viel von «Verzicht», aber nicht, wie die meisten Menschen, wegen der Sache, sondern wegen dem Begriff. Ich habe erstens Mühe mit dem leichtfertigen Umgang damit – fragen Sie mal eine Ukrainerin, ob 18 oder 19 Grad in ihrer zerbombten Stube angemessen seien –, und zweitens ist der Begriff derart subjektiv, dass er weniger als nichts aussagt. Wenn es jemandem tatsächlich echt Bauchschmerzen machen sollte, wenn er oder sie auf den Zweit-Ferrari verzichten muss, dann ist es eben so. Darüber streiten macht wenig Sinn, auch wenn ich natürlich den leisen Verdacht teile, dass 98 Prozent des Gemeckers über «Verzicht» pure Wohlstandsverwahrlosung ist. Das hängt damit zusammen, dass wir dabei immer nur an Konsumgüter denken. Dass ich seit Jahrzehnten in dieser Stadt auf etwas mehr Ruhe, saubere Luft und auf jede Menge Platz verzichten muss, der durch fette SUVs okkupiert wird, das interessiert niemanden. Und wenn schon Materielles: Dass viele Menschen unter und knapp über der Armutsgrenze, auf ganz viele Dinge verzichten müssen, interessiert auch niemanden. (Und diesen Gedanken dürfen Sie ruhig global fertigdenken.)

 

Der Grund dafür ist einfach: «Verzicht» ist zwar ein inhaltsleerer, aber genau darum ein mächtiger politischer Begriff. Man kann das Wort gut einsetzen, um zu drohen, weil es negativ besetzt ist. Und genau hier beginnen die 98 Prozent Quatsch. «Verzicht» wird immer dann in Stellung gebracht, wenn man etwas abschiessen will, wie etwa Netto-Null-Programme oder aktuell bei der Energiemangellage. (Auch wenn wir uns einig sind, dass das neuste Sparprogramm des Bundesrates eine Lachnummer ist.) Das hat viel mit dem Erschrecken darüber zu tun, dass man sein Verhalten ändern müsste. Etwa bei der Suffzienzstrategie. Sie wird in 98 Prozent aller Fälle falsch definiert. Suffizienz ist weder Einschränkung noch esoterische Genügsamkeit, sondern nichts anderes als ein Vorgehen, das Grenzen er- und anerkennt. Suffizienz ist daher so banal und alltäglich wie atmen. Wir alle benehmen uns in 98 Prozent unseres Daseins suffizient, indem wir mit dem auskommen, was wir haben, notabene egal, ob knurrend oder freudig. (In den restlichen zwei Prozent machen wir Schulden.) Nur, und jetzt wird es grotesk: Kollektiv benehmen wir uns genau gegenteilig, weil wir die absolute Grenze von «einer Erde» nicht anerkennen und so leben, wie wenn es drei davon geben würde.

 

Mit Verzicht hat das bis hierhin noch rein gar nichts zu tun. Aber jetzt kommts: Wenn wir uns wirklich suffizient benehmen, die globale Grenze akzeptieren, die eine Erde also gerecht aufteilen wollen, müssen wir unseren Lebensstil ändern. Es gibt tonnenweise Möglichkeiten dazu, «Verzicht» ist nur eine. In der Regel die dümmste und unkreativste. Zudem verbaut der Begriff einem die Sicht auf den Gewinn, den wir mit Suffizienz erhalten: ein besseres Leben. Wenn Sie nicht «verzichten» wollen, dann tun Sie’s doch einfach nicht. Was Sie aber ultimativ tun müssen: Sich überlegen, was Sie zu einem guten Leben brauchen. In der Regel kommt dann der Zweit-Ferrari nicht vor. Das gute Leben, gar ein gutes für alle, gibt es nur jenseits von Wachstum und Verschwendung. Darin hat auch ein Begriff wie «Verzicht» keine Daseinsberechtigung mehr.

 

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Angewandte Wissenschaft

Neulich, im Taxi. Es war weit nach öV-Schluss, der Heimweg war lang und kalt, und mich gabelte ein Türke im Tesla auf. Offenbar muss ich etwas skeptisch auf das riesige Display auf der Mittelkonsole geguckt haben – Flatscreens im Panoramaformat lenken ja ü-ber-haupt nicht ab – und prompt witterte er Fachkompetenz im Autobereich: «Was meinst du zu Tesla?» Und ich so: «Naja, weisst du, Elektroautos haben auch so ihre Probleme…» Eifriges Nicken: «Ja, kenn ich, ich hab schon viel Probleme mit Batterie gehabt… aber guck mal…» (und er zeigte auf den Bildschirm mit gefühlten tausend Informationen drauf) «…schon über 240 000 Kilometer, ist nicht schlecht, oder?» Ich sage: «Ja, super, immerhin besser als mit einem Benziner.» «Wieso? Geht Benzin aus?» «Nein, das weniger, aber wegen den Abgasen, die heizen das Klima auf, weisst du.» Er wiegt nachdenklich das Haupt, offenbar ist ihm das Thema nicht ganz fremd. Und dann fasst er es ebenso konzis wie rabiat zusammen: «Geht Welt unter?»

 

Eine gute Frage, und ich wär auch eine gute Anlaufstelle, da als Grüner bekanntlich Experte im Weltuntergang. Aber jetzt wird’s heikel, aus drei Gründen: Erstens hatte ich es als Dozent für nachhaltige Entwicklung mit jungen Menschen zu tun, und vor diese stehst du nicht hin und erzählst ihnen im Plauderton, dass die Welt gerade am Absaufen und Verdorren zugleich ist, auch wenn es aus der Wissenschaft übergenug Argumente dafür gibt. Ich hab mir daher angewöhnt, solche Fazite, die im Hörsaal ohnehin meist nicht angebracht sind, zu umschiffen. Die Fakten sprechen ja für sich, und meine Studis waren nicht blöd und konnten selber 2+2 zusammenrechnen. Es gehört einfach sehr viel Mut dazu, sich schon im jungen Leben einzugestehen, dass die Zukunft ein einziger Problemhaufen ist. Von daher hatte ich also etwas Beisshemmungen, morgens um zwei im geheizten Tesla über den Weltuntergang zu plaudern.

 

Zweitens und nämlich verbieten sich die Antworten «Ja» und «Nein», denn die Sache ist etwas komplizierter, weil die Welt zwar teilweise, etwa an den Meeresufern, tatsächlich buchstäblich untergeht, vor allem, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel verpassen (was wir tun werden). An anderen Orten der Welt wird man aber vom Untergang sehr viel weniger merken oder sogar ein bisschen profitieren. Reichtum hilft übrigens perverserweise sehr beim Profitieren, obschon unsere Lebensweise gleichzeitig die zentrale Ursache ist. – Und drittens geht die Welt auf eine Art unter, die wir uns, allesamt hollywoodgeschädigt, völlig falsch vorstellen. Sie tut es heimlich, leise, manchmal unmerklich und langsam. Es gibt keine sonore Stimme aus dem Off, die einen Kommentar abgibt, wenn wieder eine Art ausstirbt. Und keine pompöse Filmmusik begleitet den neuesten Hurrikan, wenn er durchs Land tobt. Selbstverständlich gibt es das auch: Jede Menge lauter und tödlicher Katastrophen, nur kann man bei denen dann einwenden, sie hätten nichts mit dem Klimawandel zu tun, das habe es ja schon immer gegeben.

 

Ich hab daher gekniffen. Die Fahrt dauerte zehn, fünfzehn Minuten, aber ich bräuchte ein paar mehr, um den Weltuntergang im Allgemeinen und die Rolle des Teslafahrens darin im Besonderen erklären zu können. Als ich ausstieg, fühlte ich mich wie von einem kalbenden Eisberg gestreift. Und nein, es ist nicht so, dass alle Leute genügend über solche Zusammenhänge informiert sind, auch wenn mein Taxifahrer ganz offensichtlich so einiges wusste. Der Weltuntergang, wenn er dann da ist, wird so manche noch überraschen.

 

 

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Nett

Eigentlich hat Franz Hohler die Sache schon vor fast 30 Jahren abschliessend auf den Punkt gebracht: Das entsprechende Lied heisst «Es si alli so nätt», und der Name ist Programm: Form und Inhalt stimmen bei den Menschen nie überein. Oder in einfacher Sprache: Sogar das letzte A***och ist noch nett. (Na gut, Trump macht hier eine Ausnahme.) Nettigkeit liegt wie eine fette Sosse über aller Gemein- und Dummheit und scheint darüber hinaus sehr schweizerisch zu sein. Vermutlich liegt das daran, dass unser Land so klein ist: Man trifft sich immer zweimal, daher ist man schon mal präventiv nett.

 

Hohlers Lied beginnt harmlos, mit seinem Umzug in die Stadt, und ganz anders, als «die auf dem Land» immer behaupten, sind «die Städter» durchaus nätti Lüüt. Danach folgt eine Episode aus dem Widerstand gegen Gösgen, nämlich dass sie von den «Chärnchraftherre» eingeladen worden seien, und siehe da: «Denn sitze mer zäme n am Tisch / Üsi Meinig isch komplett verschide / Aber was s verrücktischten isch / Es si alli so nätt – Würklech / Es si alli so nätt – / Si doch Familieväter wie du und i / Si sogar Wildwasserfahrer und Schilangläufer / Wüsse würklech, was Natur isch.» Das Lied endet mit einem Albtraum, nämlich dass er, zum Tode verurteilt, geköpft werden soll und mit tatsächlichem Grauen feststellen muss: Auch das kann man nett erledigen. «Aber s schlimmschte, churz vor em Chöpfe / Si all die fründleche Grind / Vo Schtaatsaawalt, Richter und Hänker / S isch wyt und breit kei Find / Es si alli so nätt – / Dörfe mir Ihne die Binde um d Auge legge? / Hei Si no ne letschte Wunsch? / Ah, Si sind Nichtraucher / Denn legge Si jetz bitte Ihre Chopf uf dä Pflock do.»

 

Quintessenz: Alle, wirklich alle, sind «so unheimlich, so grauehaft NÄÄÄÄÄTTTT!» Und da ist es ein kurzer Weg zum Ueli Maurer, den nun alle noch schnell in den Himmel hinaufloben, wie wenn er schon tot wäre, trotz seinen, wie ich es mal nett formulieren will: sehr dezenten politischen Erfolgen als Kriegs- und Finanzminister, trotz seinen pubertären Frechheiten, trotz seinem ewigen Zeuseln, seiner Schnoddrigkeit und seinen Provokationen, mit denen er mithalf, den Rechtsextremismus in der Schweiz salonfähig zu machen. Nur eben: Er hat sich immer derart treudoof geäussert, dass er knapp unter dem Aufregungsradar flog. Und schon geht’s weiter: Uns droht ein Nachfolger, der noch etwas harmloser daherkommt, was bei ihm aber unter «gmögig» läuft, weil Berner. Dabei ist Albert Rösti wohl der unnetteste und verheerendste Lobbyist wider das Klima, für die fossilen Energien, ein treuer Ausführungsgehilfe und Laufbursche seiner Geldgeber, aktuell grad Auto-Schweiz, und komplett keine Empfehlung für ein Amt, das der gesamten Gesellschaft zu dienen hat und bitteschön die Verfassung respektieren sollte, wenn’s geht. Aber er ist nett, auch wenn er an den falschen Fäden hängt. Und das bedeutet in diesem Land: bundesratstauglich.

 

Gar nicht nett ist hingegen, wenn sich eine Professorin und Mitverfasserin von globalen Klimaberichten an einem Sitzstreik beteiligt, wegen dem doch tatsächlich reale AutofahrerInnen belästigt, ach was: genötigt bzw. an der Ausübung ihrer Klimavernichtungsaktivitäten behindert werden. Nicht nett ist es, wenn Grüne Volkserzieher einen Fleischtag weniger in der Mensa einführen wollen oder gleich viel Platz fürs Velo wie fürs Auto einfordern, und so weiter. Aber dass e fründleche Grind definitiv Kompetenz und Eignung abgelöst hat, das hat wohl nicht einmal der Franz geahnt.

 

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Cool down

Tja, es juckt einen halt schon in den Fingern. Im Mindesten muss von «Horrorvision» oder von «Bibbern» die Rede sein, wenn man vom nächsten Winter spricht. Drunter tun wir’s nicht, dabei ist die Sache ganz einfach: Stellt einfach die Energieverschwendung ab und wir kommen ganz gut über die Runden. Aber das miech ja keine Schlagzeile. Moment: Irgendwie beschleicht mich ein ungutes Gefühl, dass ich dasselbe schon mal hier geschrieben habe …

 

Apropos schon mal: Im letzten Jahrtausend, oder genauer gesagt, 1990 ist ein Sachbuch von mir erschienen, eine Doku des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA, mit der Auswertung des wissenschaftlich begleiteten Betriebs von zwei Solarhäusern. Ich sag das jetzt nicht, um gross anzugeben, und Sie müssen auch nicht in die Buchhandlung rennen, das Buch ist vergriffen. Und stinklangweilig. Aber ich muss mich grad wieder mal grandios ärgern. Vor mehr als dreissig Jahren also standen bei uns nachweisbar bereits Häuser, die fast keine Fremdenergie verbrauchten, hingestellt von ganz normalen Architekten und bezahlt von ganz normalen Bauherrschaften. Nur: Wenn seither alle Häuser so gebaut worden wären, müsste die Qualitätszeitung keine derart saublöden Schlagzeilen schreiben wie letzthin, als sie gefragt hat, ob die Züge denn noch fahren würden, wenn im Winter der Strom knapp wird. Im Artikel kam dann heraus, dass er vielleicht gar nicht knapp wird, und dass sich die SBB noch keine Gedanken gemacht haben …

 

Die Panik ist mehrfach hausgemacht, und das Niveau der Panik korreliert jetzt irgendwie nicht so ganz mit dem Niveau der Massnahmenvorschläge. Heizpilze verbieten imponiert mir nicht so schampar, sagt aber viel aus über unsere Wohlstandsverwahrlosung. (Warum zum Beispiel kommt niemand auf die Idee, in der Schweiz eine Solarpanelfabrik zu bauen? Oder die Energiearmut gar nicht erst entstehen zu lassen?) Wir kennen das Rezept gegen Klimawandel, Energieknappheit und fossile Energieabhängigkeit schon seit mehr als einer Generation, haben aber die Umsetzung fahrlässig vergeigt.

 

Andererseits ist es auch nicht hilfreich, wenn man sagt, ich hab’s schon immer gewusst, auch wenn ich das beweisen kann: So etwa hab ich an dieser Stelle vor zweieinhalb Jahren doch tatsächlich behauptet, Wasser werde knapp, und vor einem guten Jahr hab ich vorgerechnet, wie gigantisch das Sparpotenzial beim Strom ist: Kolumnen recyclen ist geil. Aber es geht mir wie der Klimajugend: Die aktuelle militante Arbeitsverweigerung von Politik, Wirtschaft und KonsumentInnen, obschon es keinen einzigen Grund dagegen gibt, Verschwendung abzustellen, Fossile durch Erneuerbare zu ersetzen und sein Konsumverhalten ein winziges Bisschen zu überdenken, die ist, sorry, schon zum Haaröl seichen. Stattdessen muss man sich doofe Artikel in der Zeitung, jahrzehntealte Spartipps und behämmerte Ideen in der Politik anhören, wie etwa die, neue AKW zu bauen. Verzicht ist eine ideologische Kampfparole der Verschwender. Auch das ein Satz, der hier schon mal stand.

 

Wir müssen vom Hyperventilier-Modus herunterkommen. Der Run auf Heizöfeli ist absurd, nicht nur, weil die ja Strom brauchen. Zwischen zwei Grad weniger Raumtemperatur und eiskaltem Duschen liegen Welten, kein Grund für eine vorauseilende Hühnerhaut. Aber das Ende der Unschuld ist da, niemand kann mehr sagen, er oder sie habe es nicht gewusst. Mal gucken, wie lange es geht, bis ich diesen Text wieder recyclen muss.

 

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Nideltörtli

Wir sitzen vor der Pastelaria Milorde – jep, der Mann heisst so – gucken den Tauben beim Balzen zu und trinken den Zmorgekafi (meinerseits «pingato» – getropft, das heisst, mit ein paar Tropfen Milch, man spricht hier sehr poetisch). Zum Americano gibt es ein Pastel de Nata, was man bei uns wohl rustikal als Nideltörtli bezeichnen würde, was etwas unterkomplex ist, denn hier handelt es sich ohne jeglichen Zweifel um das weltbeste Süssgebäck überhaupt, und Milorde ist sein Gott.

 

Genauer gesagt sitzen wir vis-à-vis von Milorde in einer winzigen Grünanlage, quasi Pocketpärkli, und zwischen uns liegt in der Morgensonne die Rua da Graça, eine schmale Einbahnstrasse, die aber immerhin zwei Tramgeleise aufweist. Dort drauf fährt das berühmteste Tram der Welt, die Nummer 28E, ehrwürdige Schrottkisten, die bei den Touris extrem beliebt und entsprechend vollgepufft sind, zu jeder Tageszeit. Manchmal kommt es vor, dass eines der Autos, die fleissig im Halteverbot vor der Kita etwas weiter vorne parken, mit dem Füdli einen Tick zu weit in den Schienenraum ragt, was zur Folge hat, dass das Tram anhalten muss und, nach ebenso ausgiebigem wie folgenlosem Geklingel, die Polizei gerufen wird. Zuerst kommt dann ein Mensch von Carris – die hiesige VBZ –, dann die Stadtpolizei und dann ihr hauseigener Abschleppdienst, welcher kurzen Prozess macht. Derweil stauen sich die Tramwägeli hintereinander auf, die Touris müssen zu Fuss weiter, die Strasse ist komplett blockiert, und wir AnwohnerInnen haben was zu gucken. Der Abschleppdienst scheint sehr gut ausgelastet. Der Autoverkehr ist übrigens hier das Schlimmste. Die Strassen sind oft eng, parkiert wird dennoch überall. Busfahrer – männliche Form durchaus berechtigt – müssen sich durchzirkeln, Nerven aus Stahl haben und Geduld für vier. Aber ich schweife ab.

 

Plötzlich fährt ein Kleinlaster der Stadtverwaltung vor, hält zmitzt auf dem rechten Tramgleis, Warnblinker raus, was ein verkraftbares Risiko darstellt, verkehrt die No. 28E doch ungefähr im selben Rhythmus, wie Ueli Maurer «Luscht» verspürt, nämlich sehr unregelmässig, was nicht nur, aber auch an den Autofüdli im Schienenraum liegt, und es steigen zwei Männer im Übergwändli aus, der eine mit einer Schaufel, und der andere krallt sich einen Plastiksack von der Ladefläche. Sie gehen zu einem Megaschlagloch am Strassenrand zwei Meter vor dem Auto, kippen eine saftige Ladung Fertigmischung Asphalt mit Kies ins Loch, trampeln ein paarmal darauf herum, schaben den restlichen Kies weg, klopfen das Ganze mit der Schaufel flach, steigen wieder ins Auto – und nach ungelogen 30 Sekunden ist das Schlagloch repariert.

 

Wir trinken aus und nicken uns anerkennend zu: Bei uns in Zürich hätte das zwei Monate Planung, eine Submission, einen stadträtlichen Budgetantrag, eine Strassensperrung und drei Wochen Baustelle gebraucht. Aber das hier ist nicht Zürich, das hier ist Lissabon. Und es ist ohne jeglichen Zweifel die schönste Stadt der Welt. Auch wenn sie nach gebratenen Sardinen stinkt, deutliche Merkmale der Gentrifizierung und einen beunruhigenden R-Wert aufweist. Aber wo derart feine Nideltörtli gebacken werden, da sind auch wir nachsichtig. Und, ach ja: Nach einer Woche hat sich der Asphaltflick leider schon wieder mächtig abgesenkt, sodass die Tausenden von Velo-Esskurieren, die täglich vorbeibrausen, einen wilden Bogen darum machen müssen. Aber das schreibe ich jetzt nur hin, damit Sie nicht so neidig sein müssen.

 

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Artikel, p.s. Zeitung

Frauenparkplatz

Was folgt, ist nur eine kleine Geschichte, aber ich finde, sie sollte unbedingt erzählt werden: Die Grossmutter spaziert mit ihrem sechsjährigen Enkel von der Bushaltestelle nach Hause. Auf ihrem Weg kommen sie am Sitz eines grossen Konzerns vorbei, der vor dem Haus einen eindrucksvollen Parkplatz hat.

 

Nahe am Haupteingang der Firma befinden sich ein paar Frauenparkplätze. Die Abkürzung führt sie quer über den Platz, und wie sie grad auf der Höhe des Parkplatzes sind, fährt ein flotter Porsche an ihnen vorbei, biegt auf den Parki ein und parkiert mit Schwung mitten auf einem dieser Frauenparkplätze.

 

Aussteigen tut ein flotter Junker in feinem Tuch. Er schliesst seinen Porsche ab und will sich grad Richtung Haupteingang bewegen, als er von der Grossmutter zurückgepfiffen wird mit dem höflichen, aber deutlichen Hinweis, dass seine Karre auf einem Frauenparkplatz stehe.

 

Und was passiert? Der flotte Mann guckt irritiert hin, entschuldigt sich ein erstes Mal, steigt in seinen Wagen, parkiert um, steigt wieder aus, entschuldigt sich noch ein paar Mal, es sei keine Absicht gewesen und er habe das vollständig übersehen, und dann geht er seinen Geschäften nach.

 

Der Kleine ist baff. Dass seine Nana die beste aller Welten ist und ein bisschen mehr kann als andere, hat er schon immer gewusst. Genau genommen kommt sie in seinem Weltbild grad knapp nach CR7. Sehr knapp. Aber dass sie es fertigbringt, quasi mit einem Satz einen Porsche(!)fahrer dazu zu bewegen, dass er seinen Porsche umparkiert – das grenzt an Zauberei.

 

Welchen Zauberspruch die Grossmutter genau verwendet hat, hat er allerdings nicht verstanden, also fragt er nach, und die Nana erklärt ihm, was ein Frauenparkplatz ist und dass er eben darum nahe am Eingang situiert ist, damit die Gefahr, überfallen zu werden, geringer ist. Hoffentlich. Das wiederum leuchtet dem Kleinen überhaupt nicht ein. «Aber Nana», meint er, «wenn du überfallen wirst, musst du dich eben verteidigen.» Und untermalt seine Ausführungen mit entsprechender Gestik, quasi frisch vom Kindergartenpausenplatz.

 

Die Grossmutter sieht ein, dass hier mit Argumenten wenig auszurichten ist, da der Erlebnishintergrund des Enkels inkl. Lebenserfahrung logischerweise mehr als nur ein bisschen abweicht, und sie schlägt ihm daher ein Spiel vor: «Du bist die Frau, parkierst dort hinten, weit weg, und dann willst du zum Eingang laufen. Und ich versuche, dich zu überfallen.»

 

Gesagt, getan. Die Sache ist angenehm gruselig, und obschon der Enkel weiss, dass er gleich «überfallen» werden soll und er darum natürlich speziell wachsam ist, gelingt es der Grossmutter, sich anzuschleichen und ihn zu schnappen, und das war’s dann mit dem sich Verteidigen, denn die Nana ist grösser und stärker.

 

So war das, auf dem Parkplatz des grossen Konzerns. Was der Enkel übrigens nicht fragte, ist, warum es überhaupt Frauenparkplätze braucht, aber das ist eine andere Geschichte. Und die Moral von dieser Geschicht’? Nun, wissen tun wir’s ja nicht genau, aber ich hoffe mal: Zwei Junker, die etwas gelernt haben.

 

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