Artikel, p.s. Zeitung

Meienberg R.I.P.

Heuer jährt sich der Tod des Journalisten und Historikers Niklaus Meienberg zum 30sten Mal, und haben ihn wohl die meisten bereits vergessen oder nie gekannt, auch wenn er die nachfolgenden journalistischen Generationen geprägt hat wie kein zweiter. Sympathisch war er mir nie so richtig, und ich zweifle etwas daran, ob er eigentlich ein Linker gewesen ist, die Bezeichnung «stockkatholischer Atheist» trifft es da schon eher. Aber er war ein grandioser Schreiber und Stilist, ein begnadeter Polemiker, ein ausgezeichneter Rechercheur und ein guter Historiker, wenn auch etwas unorthodox, da alles miteinander. Dass er aneckte beim Bürgertum, dem er offenbar gerne angehört hätte, dass er beispielsweise jahrelang Schreibverbot beim Tagi hatte, war eher seiner direkten Art zuzuschreiben, denn er verschonte auch nicht die Hand, die ihn fütterte, und das verzeiht die Bourgeoisie nie.

Als Linker wahrgenommen wurde er deshalb, weil er konsequent Geschichte von unten schrieb und recherchierte. So etwa das Schicksal von Ernst Schrämli, der wegen dem Klau von ein paar Handgranaten, die er an die Nazis lieferte, als Landesverräter hingerichtet wurde, derweilen der Waffenhändler Emil B., den man ohne weiteres als Sauhund bezeichnen muss, weil er den Nazis Kanonen im grossen Stil lieferte, heute noch in der Stadt Zürich verehrt und hochgeachtet wird.

Meienberg hat sich vor dreissig Jahren das Leben genommen. Depressionen waren ihm nicht unbekannt, und zwei Vorfälle mussten ihm das Leben gewaltig vergällt haben. Einerseits ein Raubüberfall auf ihn an seinem Wohnort – «Z’Örlike git’s alles», hätte er wohl dazu geschrieben, denn auch er war nicht immer geschmackssicher –, und zum zweiten war das der Irakkrieg, der ihn mit «den Linken» entzweite, wobei mir nie ganz klar wurde, welche er meinte. Persönlich begegnet sind wir uns auf einer Reportage: Als 1984 Papst Johannes Paul II. in die Schweiz kam, war ich als embedded journalist im Auftrag der damaligen Wochenzeitung ‹Die Region› drei Tage in der Innerschweiz unterwegs. Meienberg war auch da, er schrieb einen Text für die WoZ, in dem er die steile These entwickelte, dass dies unmöglich JPII gewesen sein könne, sondern ein Double – er war Anhänger der Weisheit «se non è vero, è ben’ trovato». Wir tauschten manchmal Beobachtungen aus, wenn wir wieder einmal beide unseren Augen und Ohren nicht trauten, gingen aber meist getrennter Wege. Ich verfolgte eine andere Geschichte, die der völligen Verkommerzialisierung, denn diese drei Tage lieferten die gründliche Korrektur des biblischen Grundlagenirrtums, wonach man nicht zweien Herren dienen könne, Gott und dem Mammon. Wenn’s jemand kann, dann wir. Und der Heilige Stuhl. Die Grossen der Schweizer Literaturprominenz lobten Meienbergs Reportage, meine war natürlich besser.

Eitelkeit war auch Meienberg nicht fremd, aber er hat in der Tat Massstäbe gesetzt: Stilistische Innovationen, Recherche-Standards, das Benennen von Ross und Reiterin, eine gewisse (immer fundierte) Parteilichkeit, Intelligenz, solche Dinge eben. Und wenn es nur recht und billig ist, seiner zu gedenken, dann daher, weil er nicht nur Texte hinterlassen hat, die zu lesen heute noch ein Genuss ist, sondern weil er auch ein Journalismus-Ethos gelebt hat, das man heute schmerzlich vermisst. Allerdings bin ich nicht sicher, wie er mit der Tatsache umgehen könnte, dass man heutzutage alles schreiben kann und (fast) keine Sau zuhört. Das hätte ihm vielleicht genauso die Luft genommen.

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Cancel Culture

Die Debatte um Cancel Culture und die heraufbeschworene «moral panic» sind generell absurd bis lächerlich, vor allem auch, wenn es um die Hochschulen geht. Die Wissenschaftsfreiheit ist zwar in der Tat immer wieder in Gefahr, aber nicht durch ein paar Leute, die Vorträge verhindern. Wer das behauptet, lenkt von den realen Einschränkungen der Wissenschaft ab. Ich habe über ein Vierteljahrhundert in der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung gearbeitet. Das ist eine Phase innerhalb der Wertschöpfungskette des Wissens – doch, doch, so etwas gibt es –, die zwischen der Grundlagenforschung und der Markteinführung von Produkten und Dienstleistungen liegt. Ich habe ein interdisziplinäres Hochschulin­stitut mitgegründet und geleitet, war also letztlich für die Forschungsakquisition verantwortlich und kenne die Abläufe. Cancel Culture war nie meine Sorge.

Es ist die Machtfrage, die wie immer eine zentrale Rolle spielt. Wer ernsthaft behauptet, dass ein paar Antifa-Leute, die eine Vorlesung stören, die Macht hätten, den Wissenschaftsbetrieb lahmzulegen, verrät seine Ahnungslosigkeit. Wer diese Macht aber hat, sind die Finanzierungsstrukturen der Forschung, und es sind die Kommunikationsstrukturen und das dort herrschende Oligopol. «Wissenschaftsfreiheit» ist ein hehres Wort, aber wer seine wissenschaftliche Tätigkeit nicht finanzieren kann, kann einpacken. Mein grösster Druck als Institutsleiter kam von der Buchhaltung, schlaflose Nächte hatte ich nur, wenn eine wichtige Eingabe für ein Forschungsprojekt wieder einmal gescheitert war und eine Lücke im Budget drohte. Wer nicht grad optimal in das aktuelle Programm des Nationalfonds passt, wer das Pech hat, an einer Hochschule zu forschen, die unlängst mehrmals berücksichtigt wurde und daher nun wieder etwas zuwarten muss, oder wer unter einem Bundesrat leidet, der kein Forschungsabkommen mit der EU zustande bringt, kann am leeren Daumen saugen. Oder Leute entlassen. It’s the economy, stupid.

Der andere grosse Machtkomplex, der die Wissenschaftsfreiheit im Würgegriff hat, sind die Institutionen beim Umgang mit Daten, Informationen und Wissen. Nicht umsonst heisst es in der Wissenschaft: «publish or perish». Die einzige anerkannte Währung ist die Publikation, möglichst in einem angesehenen Medium. Der Weg dazu ist oft intransparent, immer extrem aufwändig – und der Anbietermarkt ist ein Oligopol. Weltweit gibt es, auch in Zeiten von Open Access, gerade mal 3 (richtig: drei) Grossverlage, die sich den Kuchen aufteilen. Die Preisgestaltung von wissenschaftlichen Journalen ist dadurch geprägt, dass alle Hochschulbibliotheken solche Publikationen führen müssen, dass alle Forscher:innen solches Wissen möglichst lückenlos verarbeiten müssen, dass also die Nachfrageseite kaufen muss und keine freie Wahl hat. Es ist wie beim Wohnen. Und wird ebenso schamlos ausgenutzt.

Es ginge noch weiter mit den Gefahren, zum Beispiel die Überforderung durch die schiere Informationsmenge, aber mir fehlt hier der Platz, um das auszuführen. Deshalb also: ja, die Wissenschaft ist in der Tat gefährdet, und die öffentliche Forschung ist nicht so frei, wie sie sein sollte. Aber das liegt nicht an einer irgendwie ausgearteten «Culture», sondern halt wieder einmal am guten alten Kapitalismus, der es auch in der Wissenschaft schafft, alles zur Ware verkommen zu lassen. «Kultur abschaffen», wie man «Cancel Culture» übersetzen könnte, ist da allerdings gar nicht mal so falsch.

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Vertrauen 2.0

Mein Freund Z. meint, dass das mit dem Vertrauen noch dieses Jahr endgültig den Bach ab gehen werde, und er wird’s wohl wissen, denn er ist sowohl theoretisch wie praktisch in der Lage, selber ein bisschen dafür zu sorgen. Die Rede ist nicht von den Banken, die haben das bereits verkackt, sondern die Rede ist von künstlicher Intelligenz. KI, vor allem dort, wo sie nunmehr in der Lage ist, perfekte Fakebilder und -videos in Massen zu produzieren und damit den Markt zu fluten, dürfte also noch heuer parat sein, um unser Verständnis von Wahrheit, das ohnehin schon von Trump und Keller-Sutter erschüttert wurde, nochmals zu pulverisieren. Fragt sich bloss, wie man das werten will.

Ich bin kein Experte, aber Gedanken macht man sich ja immer. Als erstes fällt mir ein, dass wir schon seit Jahren immer wieder hören und lesen müssen, dass publizierte Bilder und Videos von den Redaktionen nicht verifiziert hätten werden können, weshalb sie mit Vorsicht zu geniessen seien. Das ist ein Witz. Denn wenn du nicht weisst, ob das, was du publizierst, falsch ist, dann lass es doch einfach sein. Gerade eben haben wir alle ein Bild sehen können von einem Feuerball über dem Kreml. Die zugehörige Story eines (ukrainischen?) Drohnenangriffs war eine Nullnummer, man hätte das gar nicht senden müssen. Es gibt keinen Informationsauftrag für Desinformation. Von daher gesehen, wenn demnächst sämtliche Bilder erst mal unter Generalverdacht stehen, könnte man sich ja auch vorstellen, dass die Nachrichtenredaktionen dieser Welt etwas vorsichtiger sind und nicht grad alles raushauen, bloss weil’s Klicks hagelt. Wenn zum Beispiel im Gefolge der Grossen Vertrauenskrise nur noch «wahr» ist, was als «wahr» bestätigt werden konnte, durch welche Massnahmen auch immer, wenn also quasi eine Beweislastumkehr stattfindet, wäre das nicht nur schlecht.

Ich hab eh ein Déjà-vu: Jahrzehntelang hab ich meinen Studis gepredigt, nicht alles zu glauben, was gedruckt steht. Das Stichwort heisst Quellenkritik, und die ist mühsam und oft anspruchsvoll, aber ohne ist nichts zu machen, ziemlich egal, ob man das ‹20 Minuten› oder einen wissenschaftlichen Text liest. In einer Welt, in der vermutlich so gegen 95 Prozent der Menschen ernsthaft glauben, dass die obersten 10 Treffer bei ihrer Suchmaschine die «wahrsten» oder «richtigsten», oder doch zumindest die «relevantesten» seien, sind gefakte Bilder nur noch ein Klacks obendrauf. Solange Sie nicht wissen, wie die Liste zustande kam, wissen Sie gar nichts. – Zudem reagieren wir, wenn wir nun die Grosse Vertrauenskrise ausrufen, wie immer: falsch. Denn Entwicklungen, vorab wenn sie technologisch getrieben sind, verlaufen nie linear, sondern wir reagieren auf sie, und damit beeinflussen wir sie, so wie wir von ihnen beeinflusst werden. Neue Instanzen der «Wahrheit» werden entstehen, und auch das ist keine gänzlich neue Sache, siehe zum Beispiel die Beglaubigung einer Unterschrift. Egal ob Notariate, Zensur oder Priester: «Wahrheitsinstanzen» gab es schon immer.

Falls es denn tatsächlich soweit kommt, dass wir im Hinblick auf die nationalen Wahlen von Bullshit nur so geflutet werden, sehe ich das also nicht gar so schwarz. Wenn alle Opfer von KI-Fake werden können, dann genauso gut auch niemand. Das hat so einen demokratischen Touch. Und ein weiterer Vorteil ist, dass wir alle etwas skeptischer gegenüber «Wahrheiten» werden müssen. Aber gut, vielleicht ist das ja auch nur pfeifen im Dunkeln.

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Zechprellerei

Warum ist die Schweiz eigentlich derart reich? Die Antwort darauf ist meist phantasiereich, aber eigentlich nicht schwer, wenn auch unangenehm: Ausbeutung. Ich weiss, das tönt etwas melodramatisch, aber damit ist schlicht die Tatsache gemeint, dass wir in (mindestens) vier zen­tralen Bereichen mehr nehmen als geben, bzw. dass wir auf Pump leben. Wir bestellen und konsumieren, aber wir bezahlen nicht.

Erstens ist das die Dritte Welt, also das T-Shirt zu 5 Franken, (das wir daher auch nur einmal tragen), also die globale Arbeitsteilung, die nur ein Gesetz kennt: Geiz ist geil. Zweitens ist es die Umwelt, die wir ressourcenseitig günstig ausbeuten und auf der anderen Seite günstig belasten, weil wir enorme externe, also ungedeckte Kosten verursachen, siehe aktuell beim CO2. Drittens ist es die hierzulande unbezahlte Arbeit in der Höhe von, je nach Schätzung, 60 Prozent (!) und mehr der bezahlten Arbeit, die zu rund drei Vierteln von Frauen geleistet wird, (was wir damit ‹belohnen›, dass wir ihnen tiefere Löhne und damit auch tiefere Renten auszahlen). Und viertens leben wir auf Pump bei den kommenden Generationen, indem wir eindeutig mehr Ressourcen beziehen, als uns in einem (fiktiven) Generationenbudget eigentlich zustehen würden.

Unser sogenannte Wohlstand, der von den bürgerlichen Parteien so gerne beschworen wird, den es unbedingt zu verteidigen gilt und der selbstverständlich nur auf unserem Fleiss, Innovationskraft etc. blablabla beruht, ist also in Wahrheit fake, ganz grob geschätzt wohl mindestens zur Hälfte. Will heissen: Wenn wir diese Lebenshaltung auf dem Prinzip der Zechprellerei aufgeben müssten, müssten wir in der Tat auf materiellen Wohlstand verzichten. Unterfüttert wurde und wird das selbstverständlich – wir leben ja immerhin in einem Rechtsstaat – auch gesetzlich, so etwa beim Steuerhinterziehungsgeheimnis, das wir auf Druck des Auslands fallen lassen mussten. So wird die Haltung gestützt, dass Zechprellerei normal sei – he ja, wenn sie ja gesetzeskonform ist!

An dieser Stelle werden Sie vielleicht einwenden, das machten ja andere Länder auch so und seien dennoch nicht so reich. Und zugegeben, es mag sein, dass bei uns noch mehr Faktoren hinzukommen, auch weniger peinliche. Aber ganz offensichtlich sind wir halt einfach besser beim Zechprellen als andere, nicht zuletzt gerade wegen unserer Gesetzgebung. Die Schweiz machte im Lauf der letzten Jahrhunderte ein richtiges Geschäftsmodell daraus. Und wie wenn es noch einen Beleg dafür bräuchte, fuhr unlängst die CS mit Karacho an die Wand, «To-big-to-fail-Gesetz» hin oder her. Erstaunlich ist nicht nur das Ausmass dieses nationalen Selbstbetrugs, erstaunlich und erschreckend ist, dass die offizielle Ökonomie sich standhaft weigert, ihn zur Kenntnis zu nehmen, und erschreckend ist auch, dass wir uns derart an solche Zustände gewöhnt haben, dass wir sie als Normalzustand annehmen und daher auch verbissen verteidigen. Im Moment können wir dabei zusehen, wie eine weitere Front im Abwehrkampf eröffnet und salonfähig gemacht wird: die Zuwanderung. Schuld sind also die Fremden, keinesfalls unsere Verschwendung, unsere Anspruchshaltung, unsere Masslosigkeit. Unser nationales Geschäftsmodell funktioniert zwar gar nicht, aber an uns kann das ja nicht liegen. – Im Schweizer Recht gilt übrigens: Wer etwas kauft, im Bewusstsein, dass er die Rechnung von vorneherein nie wird bezahlen können, begeht keine Zechprellerei, sondern Betrug.

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Not. Recht. Und Vertrauen

Was hat eine Solaranlage im Alpenraum mit der «Rettung» des Bankenplatzes Schweiz oder mit dem Gaskraftwerk in Birr zu tun? Ganz einfach und salopp zusammengefasst: Das Ersäufen des Rechts im Mistloch der (behaupteten) Not. Gleich bei mehreren Themen stellt sich die Frage, ob in einem Rechtsstaat auch Ausnahmen gemacht werden dürfen vom Recht, und wenn ja, von wem, wie lange, wie ausgedehnt und aus welchen Gründen. Beim bundesrätlichen Notrecht ist das schwammig geregelt. Eine Linie ist nicht erkennbar, die Befürchtung des Missbrauchs steht im Raum. – Themenwechsel (nur scheinbar): Die Reaktionen auf die Grüne Haltung bei der Waffenausfuhr verstehe ich nicht so ganz. Auch hier müsste man bestehendes Recht ändern (geht viel zu lange, die Ukraine kann nicht warten) oder ausser Kraft setzen. Der Ball liegt also beim Bundesrat und seinem Notrecht. Die nicht im Bundesrat vertretenen Grünen geben sich legalistisch und werden dafür gebasht. Wer nicht mit Waffen helfen wolle (obschon es effektivere und legalere Wege gäbe), sei nicht wählbar. Warum also das Festhalten am mühsam erkämpften Waffenausfuhrgesetz? Ich kann nur für mich sprechen, und ich muss auch gleich gestehen, dass ich Verständnis für eine Ausnahme hätte, weil ich keine Bestätigung einer Mehrheit der UNO brauche, dass die Ukraine hier im Recht ist. Dennoch kann ich die Haltung der Grünen mühelos nachvollziehen. Das Verhalten des Bundesrates (und auch des Parlaments) in den letzten Monaten ist, nett formuliert, mehr als nur Slalom und, weniger nett formuliert: grenzt an Willkür. Putin ist zwar pfui, aber Rohstoff- bzw. Öl-/Gashandel mit Russland geht immer. Indirekte Waffenlieferung an die Ukraine geht gar nicht, direkte an das kriegsführende Saudi-Arabien no problem. In einer solchen Lage ist jede Durchlöcherung eines Gesetzes, das nicht irgendwelche Güter, sondern das Handelsgut Waffen regelt, mehr als nur heikel. Ich würde viel darauf wetten, dass ‹Ausnahmen› aus aktuellem Grund sofort dazu missbraucht würden, das Waffenausfuhrgesetz insgesamt zu unterlaufen. Unbestritten war es ja nie. Die Rüstungslobby reibt sich schon die Hände. Und da es Alternativen zu Waffenlieferungen gibt, um der Ukraine zu helfen – die Milliardengarantien für die CS beweisen das –, scheint mir der Preis einer Ausnahmeregelung zu hoch.

Denn der gemeinsame Nenner ist: Vertrauen. Wenn man, wie wir Grünen, eine Minderheit darstellen, ist man immer froh, den Schutz des Rechtsstaats auf seiner Seite zu wissen. Dieses Eis ist dünn. Warum sollten wir einem Bundesrat vertrauen, der in Sachen CS unverfroren die Interessen ausländischer Regierungen durchsetzt, die Öffentlichkeit manipuliert und wider alle Realität behauptet, das sei keine staatliche Lösung, die er da getroffen hat? Vertrauen in den Rechtsstaat ist genauso fragil wie das in die Banken. Wenn es tatsächlich möglich war, den CS-Bankrun mit einem einzigen Tweet auszulösen, dann will ich gar nicht wissen, was es braucht, um das Vertrauen in die Demokratie zu vernichten.

Ich fasse zusammen: Die Banken rettet der Bundesrat mittels Notrecht und übersteuert damit Verfassung und Gesetz. Das Waffenausfuhrgesetz übersteuert der Bundesrat nicht mit Notrecht. Weitere Entscheidungen werden mal mit (Gas-Kraftwerk Birr), mal ohne Notrecht gefällt, je nach Lust und Laune. Das Vertrauen in Regierung, Parlament, Recht und Markt ist damit wieder hergestellt / gestärkt / geschwächt / endgültig im Eimer. Nichtzutreffendes streichen.

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Standortbestimmung

Auch ich habe nach den Kantonswahlen eine Standortbestimmung durchgeführt. Das war gar nicht so einfach, weil ich grad das Gefühl habe, dass mir der Standort allerorten wegrutscht. Stand zu fassen ist schwierig, egal, ob man die GLP und die FDP wirtschaftspolitisch auseinander halten kann. Nehmen wir zum Beispiel die Energiepolitik: Nachdem endlich alle eingesehen haben, dass wir nicht mehr Milliarden für fossilen Dreck ins Ausland schaufeln, sondern uns einheimisch und erneuerbar versorgen sollten, was gut für die Umwelt, die Versorgungssicherheit, die Wirtschaft und fürs nationale Gemüt wäre, wird das von Ölbert Rösti und Konsorten flugs in eine Aktion «Au fein, hauen wir ein paar Naturschutzgebiete in die Pfanne!» umfunktioniert. Und schon ist man in der Defensive («so haben wir das nicht gemeint») und findet sich im falschen Lager wieder, zusammen mit denen, die Windrädli schon immer daneben fanden.

Dasselbe beim Militär. Dass wir die Ukraine unterstützen müssen, ist komplett unbestritten. Aber dass dies subito dazu benutzt wird, eine Rüstungs- und eine Neutralitätsdebatte anzureissen, aber nicht fertig zu debattieren, obschon beide, um im Jargon zu bleiben, heikle Minenfelder sind, die man lieber nicht unter Stress abhandeln sollte, ist nicht hilfreich. Wem es wirklich um Hilfe geht, der könnte sich meinem Vorschlag anschliessen, unser Armeebudget ein, zwei Jahre der Ukraine zu überweisen, zur freien Verfügung. Das ist neutralitätspolitisch neutral, denn wir schanzen ja den Russen mit dem Öl- und Gashandel, der über Firmen in Zug und Genf läuft, ebenfalls Milliardenerträge zu. Unsere Armee wird dafür solange aufs Eis gelegt, denn die Demokratie wird bekanntlich heuer in der Ukraine verteidigt. Dass notabene unser ungebrauchtes Gaskraftwerk, das eine halbe Milliarde Franken gekostet hat, in Birr unnötig, aber in der Ukraine dringend nötig ist, wurde auch schon erwähnt.

Oder dann die Altersvorsorge. Nachdem sich jetzt alle einig sind, dass die 2. Säule nicht funktioniert, weder bei den zu erzielenden Renditen noch bei den Verwaltungskosten noch bei den Tieflöhnerinnen noch bei den Teilzeitarbeitenden, werden nur noch alte Reflexe bedient, die da sind: länger arbeiten und tiefere Renten auszahlen. Die Frauen werden mit dem aktuellen Vorschlag der bürgerlichen Parlamentsmehrheit einmal mehr verarscht – vom verweigerten AHV-Teuerungsausgleich wollen wir gar nicht reden –, und der Elefant im Raum wird weiterhin ignoriert. Nämlich, dass es eine neue Einnahmequelle braucht, egal ob eine Erbschaftssteuer 2.0, (die fairste, liberalste und naheliegendste Lösung), eine Finanztransaktionssteuer oder was auch immer. Man will nicht einmal darüber diskutieren. Denkverweigerung wo man hinguckt. Aber die wahre Front verläuft nicht zwischen Mann und Frau oder zwischen Jung und Alt, sondern immer noch zwischen Arm und Reich. Und wer das systemfremd findet, weil die 2. Säule schliesslich keine Solidar-Kuschel-Institution sei, der kann sich ja der Idee anschliessen, sie aufzulösen und die AHV damit zu alimentieren. Ich hab immer noch kein schlüssiges Argument dagegen gehört.

Mir schwirrt der Kopf. Dass akute Krisen dazu instrumentalisiert werden, um sein eigenes Süppchen darauf zu kochen, damit muss man in der Politik immer rechnen, das mach ich ja auch. Aber irgendwelche pervertierten Ideen, siehe Beispiele oben, erpresserisch als Lösung zu bezeichnen, ist miese Küche. Nicht alles kann als «Standortbestimmung» gerechtfertigt werden.

 

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Lob dem Verbot

Einer muss es ja mal tun. Warum nicht ich. Nachdem inmitten der angehenden Kämpfe dieses Wahljahrs der Neoliberalismus wieder sein schon unangenehm verwestes Haupt erhebt und ächzt, «Eigenverantwortung und Anreize, mehr Freiheit statt Verbote», was viele inhaltsleere Wörtli sind, die auch in einer Reihe keinen Sinn ergeben, muss man mal was klarstellen: Mehr Verbote wären gut für uns alle und würden unsere Gesellschaft entscheidend voranbringen. Im Einzelnen:

 

Wie Philipp Lepenies in seinem lesenswerten Büchlein über «Verbot und Verzicht» nachweist, hat der Neoliberalismus auch bei den Linken gesiegt: Indem er es geschafft hat, das Narrativ in unseren Köpfen und Seelen zu verankern, dass staatliche Verbote quasi widernatürlich oder satanisch, auf jeden Fall unfreiheitlich seien. «Verbot» ist definitiv negativ konnotiert, mit dem Wort kann man Kinder und WählerInnen erschrecken. Währenddem kein Mensch meckert, wenn ihn Google, Elon Musk oder ein anderer soziopathischer Milliardär nach Belieben gängelt, sind staatliche Verbote das scheinbar Schlimmste, was einem passieren kann. Höchste Zeit zu beweisen, dass das blühender Quatsch ist. Alsdann:

 

1. Verbote sind demokratisch. Wenn Sie ernsthaft glauben, der Staat könne einfach so ein Verbot verhängen, haben Sie den Staatskundeunterricht aber gewaltig geschwänzt. Öffentliches Recht ist immer an eine demokratische Legitimation gebunden: Jedes Verbot muss von einer Mehrheit abgesegnet werden. Das nennt man Rechtsstaat. Der Staat muss eine Gesetzesgrundlage haben, wenn er handelt. 2. Verbote sind effektiv, da sie für alle gelten. Anreize tun das nicht, sie können von reichen Säcken mühelos übersteuert werden. 3. Verbote sind damit auch maximal gerecht. Punkt. Anreize schaffen immer Ungleichheit. Punkt. 4. Damit ist auch klar: Verbote geben Rechtssicherheit. Kein anderes Mittel kann das. Das wusste schon Gott mit seinen zehn Geboten. 5. Verbote sind effizient, weil deren Umsetzung einfach ist. Meist haben wir bereits die dafür nötige Infrastruktur. 6. Daraus folgend: Verbote sind billig. Es braucht keine Bürokratie, keine komplizierten Mechanismen. Ein Gesetz, ein paar Tafeln – und hopp! 7. Verbote bewirken Routine. Routine ist gut, sie entlastet uns, man muss kein Studium absolvieren, um den Alltag zu bewältigen. 8. Verbote senken dadurch die kognitiven Kosten, wir müssen nicht andauernd sinnieren, was wir tun sollen. Der Kopf wird frei.

 

Soweit so überzeugend. Aber nun werden Sie vielleicht einwenden, zu viele Verbote täten unsere Freiheit einschränken. Ich weiss ja nicht, wo Sie das wieder her haben, wohl aus dem neoliberalen Giftschrank, aber es ist ideologischer Gugus. Verbote haben die Kraft zum Gegenteil: Ein Autoverbot in der Innenstadt gibt allen anderen VerkehrsteilnehmerInnen mehr Freiheit. Ein Rauchverbot lässt alle AsthmatikerInnen aufschnaufen. Ein Flugverbot könnte schon einen ansehnlichen Teil des Klimas retten. Ein Verbot, seine Kinder windelweich zu prügeln,… ok, Sie habens begriffen. Alles eine Frage der Perspektive. Des Interesses. Also alles eine politische Frage.

 

Umso mehr sollten Sie sich von der neoliberalen Staatsverachtung verabschieden. Die modernen Herausforderungen, das sehen immer mehr PolitikerInnen von rechts bis links ein, können nur mit Verboten oder Geboten gemeistert werden. Eigenverantwortung und Anreiz funktionieren ganz einfach nicht (ausser natürlich als Ausreden). Werdet erwachsen.

 

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Schlange stehen

Auch über die Festtage standen sie in der Schlange, um Essen abzuholen. Tausend Menschen jede Woche sollen es an der Langstrasse sein, rund tausend sind es an den Abgabestellen vom Tischlein-Deck-Dich, und wohl nochmals so viele an anderen Hilfsstellen der Zivilgesellschaft: Anstehen in Schneeregen und Kälte für Essen, in der reichsten Stadt des reichsten Landes der Welt.

 

Mag sein, dass sich die bitterste Armut weltweit vermindert hat. Will heissen, die Anzahl derer, die nun von ein paar statt nur von einem Dollar pro Tag leben können. Hurra. Im Gegenzug hat die Armut in Europa zugenommen, nur heisst sie nicht mehr so, sondern sie heisst Prekariat . Bis ein Viertel – manche Quellen sprechen von einem Drittel – aller Menschen in Europa leben prekär, sie haben zwar oft Arbeit, sie reissen sich sogar oft richtiggehend den Arsch auf, aber es reicht nicht. Working poor. Unsichere oder temporäre Stellen, knappe Bezahlung, kaum Sozialleistungen. Leistung lohnt sich nicht für sie.

 

Ein Freund von mir fragte mich einmal, wa­rum wir die Armut zumindest in der reichsten Stadt des reichsten Landes der Welt nicht einfach abschaffen. Die Frage treibt mich immer noch um. Ich kenne die Antwort (Sie übrigens auch, aber wir hören sie alle nur ungern). Denn die Armutsursachen sind ja kein Geheimnis: Geschlecht, Alter (ja, das hat einen Zusammenhang), Kinder, Bildungsmangel, Krankheit, usw. Und viele der Ursachen sind Teufelskreise, man kommt kaum mehr daraus hinaus. Die Abhilfen wären in diesem Sinne einfach: Ein Mindestlohn zum Leben, Lohngleichheit, existenzsichernde AHV, Stipendien für Erwachsene, Prämienverbilligungen usw. Alles alter Kaffee. Vieles davon politisch gescheitert. Denn die Antwort auf die Frage, warum wir Armut nicht einfach ausrotten ist, dass sie politisch gewollt ist. Bürgerliche Politik tut alles, um Armut, und damit verbunden die zunehmende Ungleichheit, zu erhalten. Das Volk zieht leider mit und versenkt zahme Vorlagen wie etwa damals die 1:12-Initiative. (Im Ernst, das war ein gemässigter Vorschlag, die Kantonale Verwaltung Zürich, nur so zum Beispiel, weist eine Lohnspanne von etwa 1:6 auf, das wäre ja dann schon fast Kommunismus…)

 

Hier liegt eine politische Zeitbombe. Denn das Geld wäre ja da. Einkommen und Vermögen aus dem Finanzkapital übersteigen das Bruttoinlandprodukt (als Gradmesser für die Erwerbsarbeit) schon lange. Das Geld arbeitet erfolgreicher als die meisten Menschen. Man bräuchte die Gewinne nur abzuschöpfen. Die Ungleichheit, vorab bei den Vermögen, nimmt grotesk zu, auch in der Pandemie. Aber solange die bürgerlichen Stimmen, welche «Zuwanderung», «Politik» und «den Staat» als Schuldige für das Prekariat anprangern, mehr Gehör finden als die wahren Gründe, dann wird das politisch hoch heikel. Solange es uns nicht gelingt, den prekarisierten Mittelstand abzuholen und ihm klarzumachen, dass zum Beispiel tiefe Löhne nicht «der Politik», sondern schlicht dem Arbeitgeber zu verdanken sind, sind wir in der Defensive.

 

Und es wird noch schlimmer. Wir haben drei weitere Gründe für Preissteigerungen im Alltag: Dekarbonisierung, Deglobalisierung und Demografie. Alles gewollt bzw. hausgemacht, aber eben nicht gratis. Eine Umverteilung der Mittel, um diese Herausforderungen anzugehen, ohne dass einmal mehr der Mittelstand bluten muss, ist existenziell. Aber dazu braucht es andere Mehrheiten in diesem Land. – Moment! Zum Glück ist ja Wahljahr!

 

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Peace!

Besinnliche Geschichte in besinnlicher Zeit. Und darum muss ich Ihnen nun endlich mal erzählen, wie ich einem Mann der Kirche beinahe eine reingehauen hätte. Und das kam so: Als Fraktionspräsident, der ich damals war, bekommt man so manche Einladung. So auch zur Vereidigung von frischen StadtpolizistInnen im St. Peter. (Warum ausgerechnet in einer Kirche, fragen Sie? – Gute Frage.) Und da ich ein Flair für Subkulturen habe, nutzte ich die Gelegenheit für einen Einblick in diese sagenumwobene Welt. Ich bekam unerwartet einen Platz in der ersten Reihe, zwischen dem Kollegen vom stolzen Freisinn und dem Grossmünsterpfarrer, denn merke: An solchen Anlässen herrscht noch eine mittelalterliche Ordnung, will heissen, alle Stände sind vertreten. Wie Frau Meloni sagen würde: Gott, Vaterland, Familie.

Noch leicht schwindlig ob so viel Ehre fiel mir plötzlich und mit Befremden auf, dass fast alle ausser mir bewaffnet waren. Fette Knarren an allen Hüften, Ehrendolche, die geschwenkt wurden, man hätte meinen können, es sei Waffenmesse und nicht eine Feier in einem Sakralbau. – Ich muss hierzu etwas klarstellen: Meine Äquidistanz zur Institution Kirche ist, obschon ich vor rund 40 Jahren Redaktor beim Zürcher Kirchenboten war, denkbar gross. Aber man muss gewiss nicht fromm sein, um die Symbolik von Waffen in einer Kirche pervers zu finden. Kirchen sind Zufluchtsorte, auch heute noch, wie etwa die Schutzsuche von AsylbewerberInnen vor gut zehn Jahren in der Predigerkirche beweist. Verfolger (auch polizeiliche) haben dort keinen Zutritt. Man nennt das Kirchen- oder Heiligtumsasyl, und das kennen und respektieren nahezu alle Kulturen. Waffen sind in Kirchen daher so angebracht wie ein Furz im Lift.

Die Zeremonie war ein bisschen langweilig und ein bisschen peinlich, aber was willst du: Subkulturen sind, wie sie sind. Danach ging’s auf den Kirchenhof zum Smalltalk, und da der Herr Pfarrer grad etwas verloren in der Gegend herum stand, ging ich zu ihm hin und sprach ihn auf das Thema an, in der Annahme, dass ich da einen Bruder im Geiste finden würde. – Weit gefehlt. Auf mein pazifistisches Gejammer hin fräste er mir quer übers Maul: Erstens sei ich da an den Falschen geraten, da alter Feldgeistlicher, zweitens sei auch Zwingli durchs Schwert gestorben (weshalb die alte Kriegsgurgel heute noch mit einem Zweihänder hinter der Wasserkirche steht), und drittens, Matthäus 10,34, sei auch unser Herr Jesus nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Ich musste kurz leer schlucken, aber dann kam der Geist über mich und wir begannen zu streiten, ich mit Argumenten, er mit god on his side, aber es war doch eher brotlos. Und so ganz nadisna wuchs in mir der dringliche, ich würd’ mal sagen: alttestamentarische Wunsch, die Debatte mit ein paar herzhaften Ohrfeigen zu beenden.

Ich muss hierzu etwas klarstellen: Ich bin ein mordsmässig friedliches Wesen. Meine letzte Prügelei war zu Pausenplatzzeiten. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass man den Menschen die eigene Medizin zu schlucken geben soll, weil sie da am besten wirkt. Wie hätte ich seinem Standpunkt mehr Respekt zollen können als durch die kurzzeitige schlagkräftige Übernahme seiner Argumente? Eben. – Ich hab’s dann natürlich nicht getan. Er hatte mehr Kampfgewicht, und er sah zudem nicht danach aus, als ob er auch noch die andere Backe hinhalten würde. So trollte ich mich und erinnerte mich daran, dass bekanntlich noch keine Waffe auf dieser Welt auch nur eine einzige Person getötet hat. Es waren immer die Menschen dahinter, gell? Darum: Friede auf Erden, und kommen Sie gut ins neue Jahr!

 

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Nieder mit Verzicht!

Man liest in diesen Tagen derart viel übers Verzichten, dass es einen kalt über den mit drei Pullovern bedeckten Rücken läuft. Zum Ausgleich hier mal eine gute Nachricht: 98 Prozent davon sind Quatsch. Es folgt die Wahrheit. 

 

Im Ernst: Ich halte nicht viel von «Verzicht», aber nicht, wie die meisten Menschen, wegen der Sache, sondern wegen dem Begriff. Ich habe erstens Mühe mit dem leichtfertigen Umgang damit – fragen Sie mal eine Ukrainerin, ob 18 oder 19 Grad in ihrer zerbombten Stube angemessen seien –, und zweitens ist der Begriff derart subjektiv, dass er weniger als nichts aussagt. Wenn es jemandem tatsächlich echt Bauchschmerzen machen sollte, wenn er oder sie auf den Zweit-Ferrari verzichten muss, dann ist es eben so. Darüber streiten macht wenig Sinn, auch wenn ich natürlich den leisen Verdacht teile, dass 98 Prozent des Gemeckers über «Verzicht» pure Wohlstandsverwahrlosung ist. Das hängt damit zusammen, dass wir dabei immer nur an Konsumgüter denken. Dass ich seit Jahrzehnten in dieser Stadt auf etwas mehr Ruhe, saubere Luft und auf jede Menge Platz verzichten muss, der durch fette SUVs okkupiert wird, das interessiert niemanden. Und wenn schon Materielles: Dass viele Menschen unter und knapp über der Armutsgrenze, auf ganz viele Dinge verzichten müssen, interessiert auch niemanden. (Und diesen Gedanken dürfen Sie ruhig global fertigdenken.)

 

Der Grund dafür ist einfach: «Verzicht» ist zwar ein inhaltsleerer, aber genau darum ein mächtiger politischer Begriff. Man kann das Wort gut einsetzen, um zu drohen, weil es negativ besetzt ist. Und genau hier beginnen die 98 Prozent Quatsch. «Verzicht» wird immer dann in Stellung gebracht, wenn man etwas abschiessen will, wie etwa Netto-Null-Programme oder aktuell bei der Energiemangellage. (Auch wenn wir uns einig sind, dass das neuste Sparprogramm des Bundesrates eine Lachnummer ist.) Das hat viel mit dem Erschrecken darüber zu tun, dass man sein Verhalten ändern müsste. Etwa bei der Suffzienzstrategie. Sie wird in 98 Prozent aller Fälle falsch definiert. Suffizienz ist weder Einschränkung noch esoterische Genügsamkeit, sondern nichts anderes als ein Vorgehen, das Grenzen er- und anerkennt. Suffizienz ist daher so banal und alltäglich wie atmen. Wir alle benehmen uns in 98 Prozent unseres Daseins suffizient, indem wir mit dem auskommen, was wir haben, notabene egal, ob knurrend oder freudig. (In den restlichen zwei Prozent machen wir Schulden.) Nur, und jetzt wird es grotesk: Kollektiv benehmen wir uns genau gegenteilig, weil wir die absolute Grenze von «einer Erde» nicht anerkennen und so leben, wie wenn es drei davon geben würde.

 

Mit Verzicht hat das bis hierhin noch rein gar nichts zu tun. Aber jetzt kommts: Wenn wir uns wirklich suffizient benehmen, die globale Grenze akzeptieren, die eine Erde also gerecht aufteilen wollen, müssen wir unseren Lebensstil ändern. Es gibt tonnenweise Möglichkeiten dazu, «Verzicht» ist nur eine. In der Regel die dümmste und unkreativste. Zudem verbaut der Begriff einem die Sicht auf den Gewinn, den wir mit Suffizienz erhalten: ein besseres Leben. Wenn Sie nicht «verzichten» wollen, dann tun Sie’s doch einfach nicht. Was Sie aber ultimativ tun müssen: Sich überlegen, was Sie zu einem guten Leben brauchen. In der Regel kommt dann der Zweit-Ferrari nicht vor. Das gute Leben, gar ein gutes für alle, gibt es nur jenseits von Wachstum und Verschwendung. Darin hat auch ein Begriff wie «Verzicht» keine Daseinsberechtigung mehr.

 

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