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Wa de Konsumänt will

Der Mist ist geführt. Ritter ist über seine eigenen Füsse gestolpert. Er, dessen Lieblingssatz «de Konsumänt will da» lautet, musste zur Kenntnis nehmen, dass die Konsumänten (und ganz besonders die in seinem Reich nicht vorkommenden Konsumentinnen) ihn nicht wollten. Ein güllegesprenkelter Macher im Edelweisshemmli, der sich hinter «dem Konsumenten» versteckt, wenn er zum Beispiel erklären sollte, warum die Bauernsame Gift über der Landschaft und damit im Grundwasser verteilt, hat nicht einmal fürs VBS genug Glaubwürdigkeit. Er, der Biobauer, schwadronierte dann jeweils, dass de Konsumänt eben ein diverses Wesen sei, das nicht nur bio wolle, weshalb man für alle, und nicht nur für wenige produzieren müsse. Auch im Geld-und-Gülle-Kapitalismus sind immer die anderen schuld.

Man könnte eine ganze Serie von Kolumnen schreiben über solche Mythen und (Selbst)Betrug im Marktglauben. «De Konsumänt will da» ist nur eine davon. Im gleichen Boot sitzt übrigens der Verwaltungsratspräsident der Post, Christian Levrat. Er führte jüngst mustergültig vor, wie man das macht: Zuerst Poststellen schliessen, aus Spargründen natürlich, leider absolut unvermeidlich. Danach, nach einem Verschnaufpäuschen, lautstarkes Gejammer, die Leute würden immer weniger am Schalter einzahlen und auch keine Briefe mehr einwerfen und Päckli aufgeben. (Wo denn auch, wenns immer weniger Schalter gibt?) Also müsse er, Levrat, so leid es ihm tue, noch mehr Poststellen schliessen. Dazu fällt mir ein deutscher Witz ein, der über einen früheren Postminister kursierte: «Was macht Postchef Christian Levrat des morgens in seinem Büro? – Er erledigt die Post.» Man betrügt sich selbst und andere, wenn man jedes Marktversagen einseitig den Konsument:innen, also der Nachfrage, in die Schuhe schiebt. Wie wenn diese nicht sehr wohl gesteuert wäre, mit Marketing, Werbung, Influencing – oder mit Poststellenschliessungen. Die Werber:innen bestreiten natürlich jegliche Manipulationsabsicht und sagen, dass dies getreu dem liberalen Menschenbild ja auch gar nicht ginge. 

Chabis! Wenns nicht funktionieren würde, würde man nicht Millionen in dieses Gewerbe stecken. Selbstverständlich werden Bedürfnisse geschaffen! Vergiftetes Grundwasser letztlich also «em Konsumänt» unterzujubeln, ist daher der Schritt vom Selbstbetrug zur Lüge.

Allerdings gibt es diese Tendenz zum Abbau von Serviceleistungen an vielen Orten. Man muss ja nicht gleich bis in die USA oder nach Argentinien reisen, um das Phänomen studieren zu können. Und wenn sich auch ein Vergleich mit den dortigen Zuständen gewiss verbietet, frage ich mich manchmal, ob der Abbau beim Service public, der auch bei uns, auch in der Stadt Zürich, stattfindet, nicht doch eine Art Kettensägemethode ist, im Stil einiges eleganter, aber im Effekt letztlich ähnlich. Auch in Zürich verschwinden Kreisbüros, Polizeiwachen, Billetautomaten usw., was nicht nur, aber vor allem die ältere Bevölkerung diskriminiert. Diese Konsument:innen wollen das ganz bestimmt nicht, aber wen kratzt das. Und die Digitalisierung, die als Ersatz propagiert wird, ist in vielen Fällen ein Hohn. Aber den Kapitalismus mit einer feinziselierten Analyse über seine Widersprüche belehren zu wollen, ist im Zeitalter des anarchischen Grobianismus unnötig und irgendwie noch hilfloser geworden als vorher. Inte­ressant ist immerhin, dass beim Ritter von der traurigen Denkart die Allianz von Geld und Gülle für einmal abgestunken ist.

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Neutral?

Im Kunstmuseum Aarau ist gerade eine Ausstellung zur Neutralität zu sehen, wobei sich diese nicht nur auf den politischen oder gar militärischen Aspekt bezieht, aber auch. Im Vorraum bei den Garderobekästchen kann man einen Test zu seiner Einstellung zum Thema machen und bekommt dann ein Resultat ausgespuckt, das in 4 Quadranten eingeteilt ist. Einer davon heisst: «Neutralität gibt es nicht.» Und dann darf man sich einen Schwiizerchrüüzli-Kleber nehmen und den in ein grosses 4-Quadrantenfeld an der Wand kleben. Einmal raten, wo mit Abstand am meisten Kleber kleben.

Die Schweiz, dieses Land im Reformstau, das nach 177 Jahren bürgerlicher Mehrheiten in Parlament und Exekutive gründlich in der Sackgasse steckt, hätte eine breite und vertiefte Debatte über Neutralität dringend nötig. Interessiert aber keine Sau. Ausser ein paar Versatzstücken aus der Mottenkiste (Niklaus von Flüe!) hört man kaum Nützliches oder Innovatives dazu. Unsere Bundespräsidentin entblödete sich letzthin nicht, eine antidemokratische und antischweizerische Rede von J. D. Vance als demokratisch und schweizerisch zu bezeichnen. Darauf zur Rede gestellt, wollte sie das aber gar nicht als Positionsbezug verstanden wissen. Das deutet auf eine zweite Problematik hin: Dass man in den Momenten, in denen man die Leerformel Neutralität mit Rückgrat füllen könnte, nicht über Verlogenheit hinauskommt. Dabei beginnt es schon mit dem militärischen Aspekt, wo «haltet euch aus fremden Händeln heraus» die Spitze der Expertise zu sein scheint. Ob die aktuellen «Händel», ob europäisch oder global, überhaupt noch als «fremd» angesehen werden können – egal. Und ob wir uns wirklich daraus fernhalten, wenn wir nichts tun, etwa bei Sanktionen – egal. Schon hier zeigt sich, dass es in vielen Konfliktsituationen gar keine Neutralität geben kann. Ein Positionsbezug ist immer schon da, vor allem auch dann, wenn keiner erfolgt.

Es ist schon erstaunlich, wie wenig wir beachten, dass wir geografisch mitten in Europa liegen. Aber die Geografie ist ja im digitalen Zeitalter oder, wenn Sie’s faustdick brauchen: im Zeitalter der Interkontinentalraketen ohnehin, genau: egal. Wenn also, nur so als Beispiel, der Russe im Rahmen einer versteckten «militärischen Spezialoperation» das europäische Stromnetz lahmlegt, was glauben Sie, ob das auch uns betrifft oder nicht? Eher nicht, weil wir ja neutral sind? – Ökonomisch gesehen erleben wir seit den 90ern des letzten Jahrhunderts die, genau: Globalisierung. Zumindest für Waren, Dienstleistungen, Geld, Umweltzerstörung und Klimaerhitzung, etwas weniger für Recht, Solidarität oder Gleichheit. Neutral kann in einer solchen Situation gar niemand sein, es gibt Gewinner und Verlierer, die Konzerninitiative hat das, falls überhaupt noch nötig, deutlich gezeigt. Auch die Schweiz beteiligt sich eifrig am globalisierten Handel, (was ja auch sprachlich nicht so weit von «Händel» entfernt ist). Und kulturell gesehen sind wir, waren wir, werden wir immer sein: ein Bestandteil des Westens. Klar Partei.

Die Neutralität nach Niklaus von Flüe war vielleicht im Konflikt zwischen Kain und Abel noch zu rechtfertigen und auch vielleicht ein cleverer Schachzug um 1848, der das junge Staatswesen etwas aus der Schusslinie hielt, aber was daraus wurde, diese institutionalisierte Vogel-Strauss-Haltung, viel Opportunismus und Rosinenpickerei, das führt uns nicht aus der Sackgasse. Nur, zuerst müssten wir das mal erkennen und beginnen, offen darüber zu reden. Am besten ergebnisoffen.

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Was denn sonst?

Das Erwartbare ist eingetroffen, die Umweltverantwortungsinitiative (UVI) und damit die Verarmung der Schweiz wurde abgewehrt, Gratulation. Aber einmal mehr muss man schlicht und ergreifend konstatieren, dass es auch in diesem Fall nichts nützen wird, dass 70 Prozent mit ihrem Nein den Kopf ganz tief in den warmen Sand des materiellen Wohlstands gesteckt haben und beim Wiederauftauchen erstaunt und erschreckt feststellen werden, dass der Klimawandel immer noch da ist, die Wasserknappheit ebenfalls, die Pestizidbelastung auch, und dass all die anderen planetarischen  Grenzen, die wir überschritten haben, immer noch gültig sind, Volksmehrheit hin oder her.

Sie beschäftigt mich sehr, diese eigenartige und zugleich sehr leicht nachvollziehbare Widersprüchlichkeit zwischen der Einsicht – denn die meisten dieser 70 Prozent sind ja keine Klimaleugner:innen – und dem Unwillen, daran etwas ändern zu wollen. Das Beharren auf dem ‹Recht› zum ungebremsten Konsum und der damit verbundenen Umweltzerstörung, diese unbändige Lust zur Selbstzerstörung, die ist sehr dominant, und diese Lebensform scheint ja sogar weltweit durchaus nachahmenswert zu sein. (Demgegenüber war hier inte­ressanterweise die Zustimmung bei den Personen mit einem Einkommen von unter 4000 Franken pro Monat am höchsten.) Jedenfalls muss man dieser Tage schon sehr widerstandsfähig sein, um nicht einem Zynismus zu verfallen, der nüchtern konstatiert, dass die USA und Brasilien unzuverlässig bezüglich der Umweltverantwortung sind, Russland und China zuverlässig verantwortungslos, der globale Süden (inkl. Indien) andere Probleme hat – und allerhöchstens Europa die Musterschülerin spielt und sich immerhin einigermassen Mühe gibt, ihren Fussabdruck etwas zu mässigen, zumindest teilweise, zumindest in manchen Belangen, aber letztlich einsam auf weiter Flur. Und ich verzichte darauf, hier einmal mehr aufzuzählen, was im Moment alles schief läuft, angefangen damit, dass der Verbrauch fossiler Energien sogar noch ansteigt, und so weiter, und so fort.

Es war, glaube ich, vorab der französische Philosoph und Sozialwissenschaftler Bruno Latour, der festgestellt hatte, dass die Widersprüchlichkeit (Latour spricht von «Orientierungslosigkeit») eines der Erkennungsmerkmale der Moderne wie der Postmoderne ist und dass die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Natur, bzw. die tiefgreifende Abhängigkeit Ersterer von Letzterer, ein zentrales und komplett unterschätztes Thema unserer Zeit sei. Es mag eine Folge davon sein, dass er vor allem bei der Klimathematik von einem regelrechten Krieg gegen die Wissenschaften sprach – etwas, das wir gerade wieder im Abstimmungskampf gegen die UVI erlebt haben. Vorab der Liberalismus tut sich dabei hervor mit seiner vormodernen, ja geradezu magischen Denkweise (etwa, dass unerschöpfliches materielles Wachstum möglich sei), mit seinem irrationalen und anti-empirischen Festhalten an Eigenverantwortung als Mittel zur Weltrettung, oder mit seiner eher theologisch als rational zu erklärenden Liebe zur unsichtbaren Hand des Marktes als Regulatorium weltweiter Handels- und Wirtschaftsbeziehungen

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Der Sand für all die Köpfe, die sich vor der Realität verstecken, ist weiterhin warm und gemütlich, zumindest noch eine Zeit lang. Und zumindest in unserer Weltgegend. Die Ernüchterung wird zwangsläufig kommen, by design or by desaster. Die UVI wollte designen und ist gescheitert. Aber sie wird nicht der letzte Versuch sein. Was denn sonst?

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Noch Hoffnung?

Die Umweltverantwortungs-Initiative (UVI) der Jungen Grünen und ihrer Supporter:innen wird es schwer haben. Hauptsächlich, weil sie gar nicht ernst genommen wird. Die Vorlage wirft kaum Wellen. Kein Verband, der da mit dem üblichen Schäumchen vor dem Mund Arbeitsplatzverlust oder Weltuntergang androhen würde. Nein-Werbung ist kaum sichtbar. Undenkbar, dass die Schweizer Bevölkerung so etwas zustimmen sollte. Geschweige denn eine Mehrzahl der Kantone. – Selten war die Fallhöhe zwischen einem schlicht und einfach rationalen Anliegen und der Realität derart hoch. Auf der einen Seite die Bitte, nicht länger den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen. Nicht länger Löcher ins Boot zu schlagen, in dem wir alle schwimmen. Aufzuhören, die Natur übertölpeln zu wollen. Denn eine Lebensweise, welche die Kapazität von (je nach Rechnungsart) 2,5 oder mehr Planeten erfordern würde, ist global gar nicht möglich. In einfachen Worten: Nicht. Möglich. Das ist keine Ideologie, sondern Physik.

Auf der anderen Seite (nur ein Beispiel, aber wirkmächtig): Bauernchef Ritter im TV-Studio, der genüsslich ein halbes Dutzend sogenannter Entwicklungsländer in Afrika aufzählt und dann die Pointe serviert: Die würden allesamt die planetarischen Grenzen einhalten. Da hat er zwar die Lacher:innen auf seiner Seite und er meint gewiss auch noch, er habe damit tatsächlich argumentiert. Aber er entlarvt nur seine Unwissenheit, denn er spricht ja nichts anderes an als das mittlerweile schon gegen 50 Jahre alte Rätsel der nachhaltigen Entwicklung, nämlich wie wir die Gesellschaften dieser Welt ‹entwickeln› können, ohne dabei den Planeten zu zerstören. Funktionierende Antworten haben wir bisher kaum gefunden, aber eines ist sicher: Häme allein wird’s auch nicht richten.

Klar, die UVI kommt reichlich sperrig und etwas kopflastig daher, scheint uns nichts zu bringen ausser Ärger und erschreckt eher mit ihrem (notgedrungen) grossen Weltrettungs-Gestus, als dass sie wachrüttelt. Aber darum geht es nicht. Die Geringschätzung der Menschen hierzulande diesem existenziellen Thema gegenüber zeigt unsere Einschätzung der Lage. Während die Initiant:innen überzeugend und wissenschaftlich präzise nachweisen können, dass es 5 nach 12 ist und die Abhilfe daher radikal sein muss, nicht weil man provozieren will, sondern weil wir es mittlerweile soweit über den Rand des Abgrunds geschafft haben, dass die Vorderräder bereits im Leeren drehen, ist die Verdrängung, fast logischerweise, maximal. Ernst nehmen hiesse zumindest eine ausführliche gesellschaftliche Debatte über die Thematik, welche die Initiative anspricht. Was wir aber hören und lesen sind die üblichen Abwehrfloskeln, und die ganz Schlauen, wie unser Bundesrösti, graben sogar ihre fundierten Kenntnisse des Nachhaltigkeitsbegriffs hervor und sagen, was die Bürgerlichen immer sagen, wenn es um dieses Thema geht: Die Nachhaltigkeit habe drei Pfeiler, Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft, und Letztere werde bei der UVI nicht berücksichtigt. Das ist zwar gleich mehrfach falsch, tönt aber wie bei Ritter so, wie wenn es ein richtiges Argument wäre. Weitere Punkte dagegen hab ich übrigens nicht gehört. Wie denn auch: Ehrliche Argumente, wie «ich will weiter verschwenden, und der Rest der Welt ist mir scheissegal», wären ja nicht eben hilfreich. Ja, die UVI wird es schwer haben. Aber nicht wegen ihren Forderungen, sondern weil langsam gar niemand mehr darauf hoffen mag, noch Hoffnung zu haben.

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Im Porzellanladen

Es wurde nun alles gesagt über Trump, nur noch nicht von mir. Und mir leuchtet lange nicht alles ein von dem, was gesagt wurde. Aber drei Punkte verdienen es, aufgewärmt zu werden, denn sie haben viel mit den Verhältnissen bei uns zu tun. Daher erstens: Eine blühende Wirtschaft einerseits, dank der Biden-Regierung (tiefe Arbeitslosenquote, hohe Wachstumsraten, mehr Arbeitsplätze), aber dennoch eine grosse Unrast. Die Leute hätten Trump gewählt, weil es ihnen schlecht gehe (hohe Preise, tiefe Löhne, geringe Kaufkraft). Ein Widerspruch? – Die einzig rationale Erklärung scheint zu sein: It’s not only economy, stupid, it’s Ungleichheit! Blühende Wirtschaft ja, aber lange nicht alle profitieren davon. Und daher rotten sich die Globalisierungsverlierer:innen zusammen, und die arbeitende Klasse wählt rechts, so wie in Europa oder bei uns (falls sie bei uns überhaupt wählen darf). Ein Rätsel aber bleibt: N ämlich warum ausgerechnet Trump, ein mehrfach gescheiterter Millionär, hier etwas fixen sollte. Allerdings – wir kennen das ja! Auch hierzulande ist die Partei der Milliardäre die wahlstärkste. Und die Leute wählen scheints immer diejenige Partei, der sie am meisten Problemlösungskompetenz zutrauen …

Zweitens: Der psychologische Ansatz. Die Menschen sind ja nicht blöd. Sie merken sehr wohl, dass so einiges in Bewegung gerät, mit dem Klimawandel, der Globalisierung, mit der Diversität, der Emanzipation gesellschaftlicher Gruppen und und und. Nichts ist mehr wie früher. Alles ist lästig. Man soll verzichten. Man wird beschissen. Mann verliert Privilegien. Und viele ahnen eigentlich: Verflucht, ich bin nicht nur der Porzellanladen, ich bin auch der Elefant! – Aber dann! Kommt einer, der da sagt: Schämt euch nicht! Ja, ich bin ein Sexist, ein Rassist, ein verurteilter Verbrecher, ich bin der Oberelefant  – und werde dennoch euer Präsident! Daher also: Klar, dass wir den Kerl wählen! Klar, dass nur er uns retten kann, denn er sagt uns: Seid Rassisten, greift das Capitol, die Farbigen oder die Frauen an, benehmt euch wie ihr wollt – es ist ok. Ich selber bin das blühende Beispiel, dass dem Elefanten die Welt gehört, scheiss auf das Porzellan.

Drittens. Was haben wir also? Konkrete Probleme, die nicht wegzudiskutieren sind. Ein president elect mit einer Agenda – die Agenda 47: unbedingt lesen! Da tschuderets einen! –, die kaum tauglich ist, um daran etwas zu ändern, dem aber dennoch die Mehrheit zutraut, dass er es fixen wird. Auch das kommt uns doch bekannt vor, es scheint sogar ein Grundmuster der rechten Politik zu sein: mehr Schein als Sein. Versprechungen statt Lösungen, oder wenn schon, dann Scheinlösungen statt langweilige Seriosität. Egal, ob es um unser Verhältnis zur EU geht oder um den Klimawandel, um das Artensterben, die Staatsfinanzen oder die Energieversorgung: Lieber Scherbenhaufen statt wirkliche Veränderung.

Letztens. Immerhin etwas vereint die gesamte Welt. Nämlich das oft berechtigte und meist unberechtigte Gefühl, das Opfer zu sein, benachteiligt und ausgebeutet oder von irgendwelchen Mächten bedroht zu werden, zu kurz zu kommen – und schuld sind immer die anderen, allen voran die Ausländer. Das macht, global gesehen, immerhin sogar mächtig Sinn. – P.S.: Hab soeben nachgelesen, was ich in der ersten Kolumne dieses Jahres befürchtet hatte: «Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl für dieses Jahr. Vielleicht muss es tatsächlich dunkler werden, bevor es heller wird.» Der erste Teil hat sich bewahrheitet, hoffen wir nun das Beste.

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KI: Fluch oder Segen?

Kinder und Narren sagen die Wahrheit. Als ich noch ein Kind war, warf der damalige Erdölkonzern Esso eines schönen Tages eine neue Benzinmarke auf den Markt und bewarb sie mit dem Spruch: «Tu den Tiger in den Tank.» Wir Gofen reagierten subito mit der Frage: Was nützt der schönste Tiger im Tank, wenn ein Esel am Steuer sitzt? Und wissen Sie was? Das ging mir in all den Jahrzehnten seither nicht mehr aus dem Kopf. Und warum? Weil das verflucht weise ist. Weil das unseren Umgang mit Technologien absolut auf den Punkt bringt. Wetten, dass auch der Hype um KI dem so folgen wird?

KI ist der neue heisse Scheiss und hat das Zeug, zur Jahrhunderttechnologie zu werden. KI soll die erste Technologie sein, die die bisherige Regel, dass der Mensch die Technik entwickelt und die Technik das entwickelte Objekt ist, durchbricht. KI ist lernfähig. KI soll auch autonomiefähig sein, will heissen: fähig dazu, nicht mehr seinem Erfinder gehorchen zu müssen. KI werde der gesamten Menschheit alles Wissen in Echtzeit zur Verfügung stellen. KI werde alle Arbeit, die wir nicht mögen, obsolet machen. Und so weiter. – Tolle Aussichten, toller Tiger! Aber der Flaschenhals ist der Mensch, nicht die Technik. Wir haben jetzt schon Zugang zu sämtlichem Wissen, und wir werden nicht klüger. Wir ersetzen jetzt schon doofe Arbeit durch Roboter, machen aber immer noch Bullshitjobs. Und wetten, dass die KI zuerst für die Entwicklung smarter Waffen und erst danach, falls dann noch jemand übrig ist, zur Entwicklung smarter Medikamente eingesetzt werden wird? Der Mensch ändert sich nicht so schnell, daher werden einige menschgemachte Regeln auch nicht so schnell ausser Kraft gesetzt. Wie etwa die, dass die «wertneutrale» Technik, die man so oder so einsetzen könne – notabene ein falsches Argument, aber das ist eine andere Geschichte –, immer auf dieselbe Art eingesetzt wird, welche durch die Gesetze der Gewinnmaximierung oder durch simple Interessen und Machtaspekte diktiert werden. Gerade falls KI «nur» eine Technologie sein sollte, wird sie nicht anders eingesetzt werden als sämtliche Technologien vor ihr. Also eher nicht zum Wohle der Menschheit. Ob KI selber das Zeug dazu hat, solche Gesetzmässigkeiten zu durchbrechen, (vulgo: klüger als der Mensch zu sein,) ist nicht klar. Ob wir das überhaupt wollen, noch unklarer.

«Fluch oder Segen» ist daher nur eine dumme und gefährliche Floskel, die überdeckt, dass KI erstens nicht ein Ding an sich ist, das sich fröhlich irgendwo hin entwickeln wird, sondern sich so entwickelt, wie das wir Menschen anordnen. (So wie jede Software, soweit ich weiss.) Und zweitens täuscht die Floskel eine Dichotomie vor, die so gar nicht existiert, denn was der einen ihr Fluch, ist dem andern sein Segen: Auch KI kann den Machtaspekt in gesellschaftlichen Entwicklungen nicht übersteuern. Das ist kein Kulturpessimismus, sondern a) Erfahrung und b) eine kapitalistische Regel, ganz nach dem (ebenso dummen wie unethischen) Motto: Wenn wir es nicht tun, machen es die andern.

Dass der Esel übrigens immer noch am Steuer sitzt, kann man zum Beispiel daran erkennen, dass das Silicon Valley, also das westliche Mekka der KI-Entwicklung und das Zentrum der Investitionen, mitten in ein Erdbebengebiet gebaut wurde, das äusserst aktiv und akut ist. Es braucht also nur ein «Jahrhundertereignis» (das übrigens in wenigen Jahrzehnten prognostiziert wird), und China freut sich. Das ist dann eher natürliche Dummheit, statt künstlicher Intelligenz.

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Gewalt und Klima

Moment, ich war noch nicht fertig! Ich hab Sie vor drei Wochen mit einem Cliffhanger hängen lassen, und ich habe mich dabei hinter der Philosophin Carolin Emcke versteckt. Es ging um den Autobahnbau als Verdrängungshandlung, denn statt über neue Strassen und Mehrverkehr sollten wir besser und dringend über ein Mobilitätssystem nachdenken, welches nicht das Klima zerstört, nicht noch mehr Land zubetoniert, nicht noch mehr Menschenleben fordert, und so weiter. Emcke redet zwar nicht über den Autowahn, aber sie bringt vieles, das mich im Moment beschäftigt, in einem aktuellen Büchlein mit zwei ihrer Vorlesungen auf den Punkt («Was wahr ist. Über Gewalt und Klima»). Es geht nicht nur um absurde Handlungsmuster, wie mehr Strassen bauen, um eine Verkehrsentlastung zu erreichen. (Trump wählen gehört übrigens auch dazu.) Wir tun viel mehr, um den «Schmerz der Erkenntnis, den wir empfinden müssten, wenn wir uns einliessen auf die permanenten Disruptionen, Störungen und Zerstörungen, die unsere fossile Lebensweise verursacht hat», zu verdrängen und vor allem: aggressiv zu bekämpfen. Wie das geht, dürfen die deutschen Grünen am eigenen Leib erleben, und meine Güte, das Ausmass an Hass und Aggressivität gegenüber diesen Leuten ist beispiellos. Man kann das psychologisch deuten als Sündenbockstrategie, man kann es politisch deuten als Versuch, die Partei zu diskreditieren und aus dem Markt zu drängen, aber es ist und bleibt eine Ersatzhandlung. Denn die Grünen, hüben wie drüben, sind nur die Botschafter:innen vom, nicht die Ursache des Klimawandels und des daher nötigen Wechsels in der Art, wie wir leben.

Es war zu erwarten, dass den Menschen irgendwann mal klar wird, dass das fossile Zeitalter zu Ende geht, aber was das bedeutet, wollten sie lieber nicht wissen. Aber so langsam bahnt sich die Wahrheit ihren Weg und man reagiert mit allem, nur nicht mit Vernunft und einer Einsicht, die da sagen würde: Ok, wir haben Scheisse gebaut, also hören wir einfach auf und packen den Wechsel gemeinsam an. Dass die internationale Gerichtsbarkeit die Schweiz endlich dazu zwingt, eine CO2-Restbudget zu erstellen, ist ein begrüssenswerter Klärungsschritt. Der Bundesrat versucht zwar, sogar hier noch zu tricksen und behauptet ein doppelt so hohes Budget, nämlich 660 Millionen Tonnen, die wir noch emittieren dürften in den nächsten dreissig Jahren, aber das rettet ihn auch nicht. Denn wenn irgendein Globi in Bern mal nachrechnen würde, dann würde ihm das Lachen vergehen: 660 Mio. durch 9 Mio. CH-Menschen durch 30 Jahre ergibt knapp 2,5 Tonnen pro Kopf und Jahr. Aktuell liegen wir aber bei 12 Tonnen. Nur schon diese 80-prozentige Reduktion, proudly presented by Albert Rösti, wird also nicht nur mit ein bisschen Spärele und Elektroautöli erreichbar sein, sondern genau das bedeuten, was die Klimaaktivist:innen schon lange ankündigen: einen fundamentalen Wechsel in der Produktions- und Konsumtionsweise unserer Gesellschaft, kurz, den System-Change. (Und wenn der geschafft ist, sind die restlichen 2,5 Tonnen ein Klacks.)

Jeder Tag, der ungenutzt verstreicht, weil wir uns lieber über neue Autobahnen unterhalten oder darüber, in welcher Weise die Grünen jetzt wieder Schuld am Ganzen seien, ist eine kleine Katastrophe. Wir brauchen keine motivierenden Narrative und raffinierte Anreize, und schon gar nicht irgendwelche Verdrängungsmanöver. Wir müssen jetzt ganz einfach handeln. Denn Nichtstun ist auch eine Form von Gewaltanwendung.

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Autobahnen … echt jetzt?

Der erste grosse politische Kampf, an dem ich Anfang der 1990er-Jahre teilnahm und den wir krachend verloren haben, war der Widerstand gegen den Uetlibergtunnel. Eine Gruppe von Leuten verschiedener linker Parteien, dies- und jenseits des Uetlibergs, engagierte sich jahrelang politisch, aktivistisch und juristisch gegen dieses Unding, zuerst fundamental dagegen, später im Sinne einer Rückfallposition für eine Tunnelführung ohne Anschluss an die Stadt in der Brunau. 

Aber den Autofanatikern ging es schon damals nicht um rationale Logik: Sie verkauften den Tunnel als «Umfahrung», (was auch ein sogenannt gestreckter Tunnel gewesen wäre), was aber mit einem Südanschluss an die Stadt ganz offensichtlich zur «maximalen Unwahrheit» (wie das Lisa Mazzone heute formulieren würde) mutierte, denn so wurde die Umfahrung zu einem Zubringer. Und so war es und ist es heute noch.

Mich ödet die Vorlage, über die wir im November abstimmen, dermassen an. Nicht schon wieder! Seit Jahrzehnten ist allen klar, dass mehr Strassen nicht weniger Verkehr und langfristig auch keine Entlastung bringen (können), aber den Autofanatikern ist das seit Jahrzehnten wurst. Man darf sich ruhig fragen, was ein weiterer Autobahnausbau eigentlich soll. Für mich ist es eine reine (und sehr kindische) Machtdemonstration. Derart kontraintuitiv ist die Sache, gegenläufig zum Pariser Klimaabkommen, gegenläufig zum Artenschutz, gegenläufig zur Finanzlage (die ja, gemäss den Bürgerlichen, katastrophal sein soll), gegenläufig zu einer rationalen Infrastrukturpolitik, die da sagt: Wir können uns nicht drei ausgebaute Systeme leisten, die Strasse, die Luft und die Schiene. («Folgerichtig» spart man an den Nachtzügen, haha.) Und das angestrebte, bzw. behauptete Ziel, die Entlastung, wurde, wie gesagt, wissenschaftlich wie empirisch schon lange widerlegt. Was bleibt also, ausser automobilem Getrötzel?

Vorab in der Klimadebatte ist oft zu hören, es sei falsch, mit dystopischen (also in Bezug auf das Klima: realistischen), Visionen zu agieren, wir bräuchten optimistische, utopische Narrative vom «guten Leben», von einem gelingenden Leben jenseits der Verschwendung, des Überkonsums und der Umweltzerstörung. Das ist schon recht, aber mir ist das definitiv zu naiv. Mir reicht als Utopie, dass wir überhaupt überleben können, dass wir das langfristig tun können, und, dass das vor allem alle tun können und nicht nur die Menschen des globalen Nordens, die das Geld dazu haben. 

Aber das reicht offensichtlich nicht aus. Meines Erachtens allerdings nicht, weil sich die Menschen ein solches Leben mangels «positiven» Narrativen nicht vorstellen können. Es wird ja auf allen Kanälen bis zum Abwinken verbreitet, etwa mit der Zelebrierung intakter Natur in der Tourismuswerbung, mit der Empfehlung für «gesunde» Nahrungsmittel in allen Medien oder mit glühenden Appellen zur Achtsamkeit in der Ratgeberliteratur: Das pure grüne Paradies!

Der Kontrast zur Realpolitik, die man klimatechnisch als reaktionär bezeichnen muss, ist grotesk. Eine aktuelle Erklärung dazu von der Philosophin Carolin Emcke: «Es gibt im politisch-medialen Feld eine riesige Verdrängungs-Verrätselungs-Operation, die uns Bürger:innen immunisieren will gegen den Schmerz der Erkenntnis, den wir empfinden müssten, wenn wir uns einliessen auf die permanenten Disruptionen, Störungen und Zerstörungen, die unsere fossile Lebensweise verursacht hat.» Verdrängen. Verrätseln. Autobahnen bauen. Und alles wird gut.

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Fluch der Ungleichheit

2013 wurde in Zürich ein Verein namens «Swiss Equality Group» gegründet, der die negativen Folgen von Ungleichheit und die positiven Auswirkungen von Gleichheit in der Gesellschaft thematisieren wollte. Die Gründungsmitglieder stammten aus dem linken Spektrum und waren alle politisch engagiert. Ungleichheit ist eine wissenschaftlich sehr gut untersuchte Sache – und sie ist verheerend. Es ist erstaunlich, wie unbekannt ihre zahllosen Auswirkungen in einer Gesellschaft sind – eben deshalb die Vereinsgründung –, und wie wenig dagegen unternommen wird. Egal, wie reich ein Land ist – je ausgeprägter die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft ist, desto grösser sind seine Probleme im Gesundheits-, Sicherheits- und Sozialbereich.

Wie man materielle Ungleichheit misst, ist bekannt. Verbreitet ist der Gini-Index, ein statistisches Mass für die Ungleichheit der Einkommen; beim Vermögen kann man ebenfalls Steuerdaten auswerten, was in der Schweiz katastrophale Werte ergibt:  So etwa verfügen 1 Prozent der reichsten Menschen über 45 Prozent der Vermögenswerte. Es geht aber, oft als Folge der materiellen Ungleichheit, auch um ungleich verteiltes Sozial- und Humankapital, wie wir unlängst wieder einmal bezüglich Bildungsgerechtigkeit in der Schweiz erfahren haben. Zentral und brisant ist nun aber die Frage, wie sich das auswirkt. Die (unvollständige) Liste liest sich wie eine Aufzählung von allem, was gesellschaftlich schiefgehen kann: Je ungleicher ein Land, desto tiefer die Lebenserwartung seiner Bewohner:innen, desto schlechter ihr Gesundheitszustand, (auch der psychische), desto höher Kindersterblichkeit, Selbstmordrate, Gefängnisbelegung, Drogenkonsum oder sogar Adipositas, aber es leiden auch die soziale Mobilität und die Bildung, was wiederum die Zementierung der Ungleichheit fördert, oder auch ‹weiche› Faktoren, wie das Vertrauen der Menschen ineinander. 

Warum wird dennoch wenig gemacht dagegen? Einerseits hat das etwas damit zu tun, dass Ungleichheit alleine nicht zwingend negativ sein muss. Wo Menschen leben, gibt es Ungleichheit, die Dosis macht auch hier das Gift, und die Dosis ist eine Frage der sozialen Wertung und des Aushandelns. Und zweitens ist Ungleichheit ein inhärentes Element kapitalistischer Systeme. Wettbewerb entsteht nicht (oder kaum) unter Gleichen, und die Idee eines übergeordneten Ausgleichs ist zwar in der Schweiz ebenfalls bekannt, (man nennt es «Umverteilung» und die ist zum Beispiel Grundlage jeder Versicherung), aber auch sehr beschränkt; es ist eine politische Frage, wo sie zum Zug kommt und wo eben nicht. Ich erinnere gerne an die 1:12-Initiative der Juso, die eine moderate Umverteilung zur Folge gehabt hätte, denn in den meisten Firmen und in der Verwaltung ist die Lohnungleichheit viel tiefer, in der Stadt Zürich zum Beispiel unter 1:5, die aber trotzdem keine Chance hatte. Es bleibt wohl eines der grossen Rätsel, warum zwar die überwiegende Mehrheit der Schweizer:innen von mehr Gleichheit profitieren würde, aber dennoch dagegen ist. Der Trend geht im Moment sogar eher in die Gegenrichtung – nicht zuletzt eine Folge ungebremster bürgerlicher Hegemonie in Parlament und Regierung.

Und die SEG? Nun ja, wie erwähnt: Die verantwortlichen Mitglieder waren allesamt feste engagiert in ihren Parteien, Organisationen und Parlamenten. Kein Wunder, hatten wir zu wenig Zeit für die Swiss Equality Group, und daher lösten wir den Verein wieder auf. Im Rückblick muss man sagen: eindeutig viel zu früh.

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Sommer, Krishna, Swifties

Neue Bauernregel: «Chanten die Krishnas im Garten, sind Unwetter nicht zu erwarten.» Wir leben nun mal in Hörweite des Krishnatempels, der auf der anderen Seite der Strasse liegt, die neuerdings Rad-WM-technisch «City-Circuit» heisst. Aber nicht, dass Sie jetzt denken, ich hätte was gegen die Krishnas! Die halten sich, im Gegensatz zum blöden Nachbarshund, immer an die Polizeiverordnung, und ihre Gesänge sind ja quasi Noten gewordene Haschischpfeifen, also stressmindernd, aber auch sagen wir mal, nicht so originell, was im Effekt ein bisschen an Taylor Swifts Songs erinnert. Ich hab auch nichts gegen Swifties, auch nicht gegen die gefühlten dreitausend Exemplare damals nach dem Konzert im 33er. Die waren immerhin wesentlich chilliger als gefühlte drei Exemplare von FCZ-Fans. Und sahen besser aus. Was ich mich einfach frage: Kann mir eigentlich irgendjemand sagen, was ein Taylor-Swift-Konzert strukturell von einer Critical Mass unterscheidet? An beiden Events strömen spontan Massen von Menschen ohne Bewilligung auf den öffentlichen Grund, verstopfen die Quartiere und legen den Verkehr lahm. Der einzige Unterschied ist, dass die FDP bei der CM zuverlässig ein Schäumchen vor dem Mund bekommt, aber das ist kein struktureller Unterschied, sondern ein pathologischer. Ich verstehs nicht. Was dulden wir, was nicht? Ich muss dazu schnell ausholen:

Der Sommer, oh Herr, war nämlich nicht nur sehr gross, sondern auch durchaus bemerkenswert. Kaum hatte er begonnen, klebten sich auch schon die ersten Klimaaktivist:innen an die Rollbahnen – und verlangten nun wirklich Unmögliches: Saubere Seine bis zum Juli! Absurd! Und der Herr sah, dass er hier mit stärkerem Geschütz auffahren muss und beschenkte Paris mit einer Olympiade. Und siehe: Die Behörden nahmen den Finger heraus und anderthalb Milliarden in die Hand und putzten den Fluss, bis er wieder beschwimmbar war… (na ja, immerhin nah dran). – It’s sports, stupid! scheint der Slogan der Stunde zu sein, und da will natürlich auch die Stadt Zürich nicht nachstehen. Obschon es eine Beinahe-Unmöglichkeit zu sein scheint, mit baulichen Massnahmen auf unseren Strassen dem Fuss- und Veloverkehr zu mehr Platz zu verhelfen, was mehrere Gesetze der Stadt eigentlich vorschreiben, liefert die anstehende Rad-WM den nötigen Boost für Erstaunliches: Der City-Circuit vor meiner Haustür wurde schon Monate (!) vor dem Start des ersten Rennens gesäubert, bzw. von allen Inseli, Parkplätzen, Pfosten und weiteren Störfaktoren befreit. Erstaunlich, was geht.

Sport und Kultur. Sie allein können, was alle Demos, Klebe- und Protestaktionen nicht können. Sie allein bringen den Notstand, den die Klimaaktivist:innen seit Jahren vergeblich einfordern. Sie überschreiten nicht nur Grenzen, sondern auch Gesetze. Sie übersteuern sogar das Gewerbe, obschon es, für einisch mit voller Berechtigung, über Ertragsausfälle, Blockaden und andere Plagen klönt. Sie schneiden Lebensräume entzwei, isolieren alte Menschen und Mobilitätsbeeinträchtigte in ihren Wohnungen und legen das Leben (und bei uns sogar die Müllabfuhr) lahm, wenn auch nur für ein paar Tage. Wir lernen und staunen. – Herr, der Sommer war bemerkenswert. Und normal. In Griechenland brannten die Wälder, in den Alpen wurde das Wasser knapp (zu viele Kühe auf den Alpweiden), Elon Musk outete sich als Klimaleugner und Brienz ist im Schlamm ersoffen. Herr, es gibt viel zu tun. Und verschone uns vor Unwettern. Hare Krishna!

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